Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 16: Das U-Boot!

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Auch in dieser spannenden Geschichte hatten Bruno und seine Gefährten die wachsame Hilfe eines Schutzengels dringend nötig - siehe: Der Unfall am Hang 


Das U-Boot!

Es war Krieg. Alle sprachen davon, alles drehte sich darum und jeder spürte es. Am meisten die Erwachsenen, die tausend Ängste ausstanden um ihre Lieben an der Front oder auch in den Großstädten. Für uns Kinder war er ein willkommenes Abenteuer. Als gehorsame und überzeugte HJ-Jungen wurden wir in der Schule und im HJ-Dienst vormilitärisch erzogen, lernten den Umgang mit Waffen, das Anschleichen an den Feind und vor allem die Verteidigung. Hat man vor dem Krieg noch Kutsche und Pferde, oder Räuber und Polizist gespielt, so war jetzt der Handwagen ein Panzer, das Fahrrad ein Jagdflieger und das Vorderteil eines Pferdewagens mit Deichsel eine Panzerabwehrkanone, kurz Pak genannt.
Eines Tages spielten wir Spähtrupp, der in die feindlichen Linien eindringt und die Stärke des Gegners auskundschaftet. Vom Feind war weit und breit nichts zu sehen, aber wir machten eine andere Entdeckung.
An einer Feldscheune lag ein Jauchefass. Dieses wurde für den Transport von Melasse benützt. Melasse ist ein Abfallprodukt bei der Verarbeitung von Zuckerrüben. Die große Zuckerrübenfabrik in unserer Nachbargemeinde verteilte im Herbst diese Melasse an die Bauern als Viehfutter.
Das Blechfass hatte es uns angetan. Ein U-Boot, wie man es sich nicht schöner und besser denken konnte! Die Form eines U-Boots, die Einstiegsluke, der Deckel, alles stimmte. Im Nu war die Mannschaft eingeteilt. Ein Käpten, ein Kanonier, ein Beobachter und ein Maschinist. Der Käpten gab seine Anweisungen und Befehle genau wie wir sie in den vielen Frontberichtsheftchen schon x-mal unter dem Deckbett mit der Taschenlampe gelesen hatten.
Es kam der erste Befehl: „Kommandant an Maschine, volle Fahrt voraus!“ Aus dem Bauch des Fasses ertönte ein M-ta-tata-ta M-ta-ta-ta-ta M-ta-ta-ta, das Tempo wurde immer schneller. Einer saß rittlings auf dem Fass und meldete: „Beobachter an Kommandant, feindlicher Geleitzug auf drei Strich Süd-Südwest in Sicht. Kommandant an Torpedoraum: Torpedo eins und zwei zum Abschuss fertig machen!“ Nun kam ein Klopfen und Schaben aus dem Vorderteil des Fasses und dann die Meldung: „Torpedoraum an Kommandant, Torpedo eins und zwei fertig zum Abschuss!“ Nun die Meldung: „Alle Mann unter Deck, U-Boot fertig zum Tauchen!“ und alle verschwanden im Bauch des Fasses, zuletzt der Kapitän. Dieser hob den Deckel, der an einem Scharnier befestigt war, und ließ ihn mit einem lauten Knall herunterfallen. Eine kurze Zeit eiserne Stille, denn bei einem Tauchvorgang spricht man nicht. Dann kam das Kommando vom Käpten: „Seerohr ausfahren!“ Nun sollte der Deckel halb geöffnet werden, um einen Blick nach draußen werfen zu können. Hier versagte aber die Technik, wie so oft im Leben. Wie sich der Herr Kommandant auch bemühte, der Deckel blieb geschlossen, denn auf dem Deckel befand sich eine Metallschiene, die als Verschluss im Bedarfsfall in eine Lasche eingehakt wird. Mit einem Hebel wurde der Deckel gespannt und somit wasserdicht verschlossen. Durch den harten Aufprall schnellte die Lasche hoch und hakte im Deckel ein. Alles Rütteln und Klopfen nutzte nichts. Der Deckel wich nicht. Das einzige, das wich, war unser Heldenmut.
Eine panische Angst machte sich breit, denn kein Mensch wusste, wo wir uns aufhielten. Die Zeit verging, und die Luft wurde immer knapper. Als wir nach langer Zeit nicht zu Hause erschienen, begann man sich Sorgen zu machen, und ein ängstliches Suchen begann. Man hatte mal wieder den See in Verdacht, der so still und friedlich dalag. Die Suchaktion sprach sich im Dorf herum, und so wurde eine Frau aufmerksam, die mit dem Fahrrad an der Feldscheune vorbei gefahren war und uns beim Spielen am Melassefass gesehen hatte.
Als der Suchtrupp sich dem Fass näherte, hörten sie schon von weitem ein Gejammer und heftiges Klopfen. Als wir leicht benommen aus unserem U-Boot befreit wurden, war große Freude auf beiden Seiten. Bei uns Jungen, die wir wieder frei atmen konnten, und bei unseren Eltern, die uns gesund in die Arme schließen konnten, jedoch nicht ohne eine große Rüge. Unser Glück war, dass der Deckel durch die große Lasche etwas Luft hatte. So sind wir mal wieder mit einem blauen Auge und einer Erfahrung reicher davon gekommen.

Autor:

Angelika Di Girolamo aus Künzelsau

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