Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 5 : Feueralarm

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Feueralarm

Ein beliebter Spielplatz für mich und meine Freunde war der Glockenstuhl und der breite Eingang zum Bethaus. Dieser war zum Teil überdacht, auf dem größeren Teil stand eine Pergola, die voll mit wildem Wein überwuchert war. Daher konnte man sich an heißen Tagen im Schatten aufhalten, und bei Regen hatte man ein Dach über dem Kopf. Im Glockenstuhl hingen drei verschieden große Glocken, die von den Schülern der oberen Klassen bei Bedarf geläutet wurden.
Einmal spielte ich auf der Treppe, die zum Glockenstuhl führte. Ich sah die Glockenseile sehr verführerisch herunter hängen und sie lockten mich, doch mal an einem von ihnen zu ziehen, was aber gewisse Folgen hätte, denn jede Art von Geläut hatte eine bestimmte Bedeutung. Es gab die Taufglocke, das Geläut zum Gottesdienst, die Mittags- und Abendglocke und die Totenglocke. Ertönte ein unregelmäßiges Bimmeln, so fuhr jedem der Schreck in die Glieder, denn das war Feueralarm.
Ich hatte mir aus einem Holunderstecken ein Blasrohr gebastelt und übte meine Treffsicherheit. Munition gab es in Hülle und Fülle vom wilden Wein. Ein Russe, der wahrscheinlich vom Markt in Kasatsch, einem großen Nachbardorf, kam, führte ein Schaf an der Leine. Er band es an das Treppengeländer und begab sich in das Nachbarhaus. Es war allgemein bekannt, dass dieser Bauer einen guten Tropfen im Keller hatte, so konnte man da ganz zwanglos sein Brot essen und einen Schoppen Rotwein dazu trinken.
Es dauerte nicht lange, und ich sah das Schaf an der untersten Treppenstufe geduldig auf seinen Herrn warten. Nun war das wieder so ein Moment, wo meine Gehirnzellen hellwach wurden. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, ich versuchte ihn zu verdrängen, aber es gelang mir nicht; er wurde immer stärker, bis ich zur Tat schritt.
Ich ging also die Treppe hinab, band das Schaf los und zerrte es die vielen Stufen empor, was gar nicht so einfach war, denn ich glaube nicht, dass das Tier in seinem Leben schon viele Treppen gestiegen war. Ich brachte also das Schaf mit viel Mühe und Ausdauer an die Glockenseile und band es an einem fest. Dann begab ich mich in den hintersten Teil des Eingangs, um zu beobachten, was sich nun ereignen würde. Das Schaf stand lammfromm auf einer Stelle ohne sich zu rühren. Nun kam wieder der Punkt, wo Luzifer sein Unwesen mit mir trieb, denn es war ja nicht von ungefähr, dass ich ausgerechnet jetzt ein Blasrohr in der Hand hatte.
Nach ein paar Versuchen traf ich das Tier an einer empfindlichen Stelle im Gesicht. An eine Verletzung war nicht zu denken, denn die Beeren waren ja weich, aber die Wirkung
blieb nicht aus. Das Schaf erschrak, zog dabei am Glockenseil, und ein heller Ton der Glocke ergoss sich über das aufgescheuchte Tier.
In Todesangst rannte das Schaf hin und her, dass es die Glocke fast aus der Aufhängung riss. Je mehr es tobte, desto stärker bimmelte die Glocke, und je mehr die Glocke bimmelte, desto wilder wurde das Schaf.
Die Menschen liefen aufgeregt in Richtung Bethaus, denn dies bedeutete Feueralarm, aber nirgends konnte man eine Rauchfahne entdecken. In einer Gemeindeverordnung war festgelegt, was man im Falle eines Brandes mitzunehmen hatte. So kamen sie mit
Eimern, Leitern, Reißhaken, Feuerpatschen und einige sogar mit dem Pferdewagen, beladen mit Wasserfässern.
Währenddessen stand ich in unserem Schlafzimmer hinter den Gardinen und schielte mit einem Auge hinaus, um ja alles mitzukriegen, was sich da draußen abspielte. Mein Vater hat natürlich den Alarm auch gehört und rannte in panischer Eile zum Glockenstuhl, denn der Läuter musste ja wissen, wo es brennt. Sofort sah er die Bescherung, und wie ein Blitz schoss es ihm durch den Kopf, das könnte die Handschrift seines Sohnes sein, und suchend schaute er sich um. 
Vater versuchte erst zu retten, was noch zu retten war. Er brachte das aufgeregte Tier zurück an seinen Platz und band es wieder am Treppengeländer fest, suchte dabei verzweifelt nach einer billigen Ausrede, aber dafür war es schon zu spät. Einige der schnellsten „Feuerlöscher“ hatten den Glockentanz des Schafes noch gesehen, und wie ein Lauffeuer ging diese Geschichte durchs Dorf.
Ich habe natürlich meine Tracht Prügel verdient und auch prompt erhalten. Die Menschen aber im Dorf waren froh, dass es nur ein blinder Alarm gewesen war. Noch lange Zeit danach lachte man über diesen Streich, weil es den Schullehrer betraf, das zählte nämlich doppelt.

Bruno Gässler war von 1964 bis 1982 Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Morsbach
Autor:

Angelika Di Girolamo aus Künzelsau

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