Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 3: Im Bienengarten

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Zunächst wieder ein paar einleitende Worte von Bruno Gässler zum besseren Verständnis:

Mein Vater genoss als Küsterlehrer im Dorf ein hohes Ansehen und hatte somit auch eine gewisse Macht. Diese Macht und Würde musste er sich aber teuer erkaufen, nämlich mit einem riesigen Arbeitspensum.
Zunächst als Lehrer mit etwa 50 – 60 Kindern in der Klasse. Als Küster, der vier bis fünf Sonntage nacheinander den Gottesdienst zu halten hatte, da der Pfarrer, wegen der großen Entfernungen zwischen seinen sechs bis sieben Gemeinden, sonntäglich nur einmal predigen konnte.
Der Küster war auch Organist, hielt Taufen und Beerdigungen. Er dirigierte den gemischten Chor und ein stattliches Blasorchester. Für die Landsleute, welche die Amtssprache Rumänisch nur wenig oder überhaupt nicht beherrschten, war er als Dolmetscher tätig. Kam ein amtliches Schreiben, dann ging man zum Schullehrer, der übersetzte den Brief, beriet den Mann und verfasste dann auch gleich das Antwortschreiben.
Meine Mutter, im Dorf Frau Schullehrer genannt, war ein zartes bescheidenes Wesen. Sie stand dem Vater in vielen Dingen des täglichen Lebens mit Rat und Tat zur Seite.
Weil Vater beruflich sehr gefordert war, war sie für den Haushalt und die Kindererziehung fast alleine zuständig. Sie tat das mit einer himmlischen Gelassenheit, war immer gut aufgelegt, war eine gute Schneiderin und Köchin und vor allem, wenn ein heftiges Gewitter im Raum stand, meistens durch mich erzeugt, dann war sie der Blitzableiter und hat die Wogen geglättet.


Im Bienengarten

Einmal im Jahr trafen sich die Lehrer der Nachbargemeinden samt ihren Vorgesetzten zu einem Fest. Da die Herren Kollegen meist mit der ganzen Familie anrückten, war es eine große Gesellschaft, wie eine Hochzeit. Es wurde aufgetischt, was Speisekammer und Keller hergaben.

Gegen 11 Uhr kamen die ersten Gäste. Kutsche um Kutsche fuhr in den großen Schulhof ein, teils mit Kutscher, teils führten die Herren selbst die Zügel. Die Pferde wurden versorgt und die Begrüßungszeremonie konnte beginnen.

Ich selbst, von Mutter herausgeputzt wie ein Pfau, stand in vorderster Reihe, machte artig und wie befohlen meinen Diener, sagte guten Tag mal in Russisch, mal in Rumänisch und auch in Deutsch, je nach Bedarf.

Der Empfang spielte sich unter den großen Akazienbäumen im Schulhof ab, da war es schattig und angenehm kühl. Es wurden nach rumänischer Sitte Dultschatsa (kandierte Früchte), verschiedene Liköre und Zuika (rumänischer Wodka) gereicht.

Man hatte sich viel zu erzählen, und im Nu war es Zeit an der großen und reich gedeckten Tafel Platz zu nehmen. Mutters Kochkunst hatte sich herumgesprochen, vor allem ihre Fischgerichte waren eine Gaumenfreude.

Man sprach den Speisen kräftig zu und war des Lobes voll. Man vergaß auch nicht, immer wieder mit dem köstlichen Cabernet aus Schabo, einem bekannten Weinbaugebiet, einander zuzuprosten und nachzuspülen. Die Stimmung stieg von Minute zu Minute.

Wir Kinder hatten nicht viel von dieser Unterhaltung, deshalb verließ eines nach dem andern die Tafel. Wir trafen uns an der Stelle unter den Akazienbäumen, wo an einem Ast meine Schaukel hing, auch standen da mein Schaukelpferd von Opa und weitere Spielgeräte um uns die Zeit zu vertreiben. Alle waren glücklich und zufrieden, es gab auch keinen Zank und Streit, was bei so verschiedenen Kindern nicht immer selbstverständlich ist.

Ich wollte aber meinen Gästen etwas ganz Besonderes bieten und natürlich auch ein wenig angeben. Ich erzählte ihnen von unserem Bienengarten, und wie zahm die Bienen seien, mit denen man am Flugloch spielen könne ohne gestochen zu werden. Dies wurde zwar angezweifelt, aber man könnte es ja prüfen.

Ich war meiner Sache sicher, denn ich war oft dabei, wenn die Eltern Honig schleuderten, oder wenn Vater einen entwichenen Schwarm einfing. So begab sich die ganze Meute in den Bienengarten, wo die Bienen an diesem herrlichen Tage in Scharen umher flogen.

Mit Kennermiene und Stolz ging ich auf das erste Flugloch zu, streckte behutsam die Hand aus, und augenblicklich saßen einige Bienen darauf und krabbelten hin und her, als ob sie schon lange auf diesen Landeplatz gewartet hätten. Das machte Eindruck. Ich hatte die Kinder überzeugt. Als ich dann die Bienen von der Hand blies, so wie es Vater machte, wenn
er sie beim Arbeiten nicht zerquetschen wollte, und sie sich anschließend ganz in der Nähe wieder zahm niederließen, da war die Heldentat perfekt.

Das hatte aber zur Folge, dass meine Gäste immer dreister wurden und immer näher an die Stöcke heranrückten. Das ging so lange gut, bis einer ganz dicht herankam. Als ihm dann einige Bienen um den Kopf schwirrten, wurde der Junge nervös und schlug um sich, was ein großer Fehler war. Da wurde er auch gleich gestochen, und das Geheul tat seine Wirkung.
Die anderen Kinder schlugen jetzt auch wild um sich, trotzdem konnten sie nicht verhindern, dass noch einige von ihnen gestochen wurden.

Aufgeregt und voller Angst rannten sie aus dem Bienengarten und lauthals brüllend mitten in die gut gelaunte Gesellschaft. Die Mütter reagierten schnell: es fing ein Schimpfen, Trösten und Rätselraten darüber an, was überhaupt geschehen war. Meine Mutter war die einzige, die einen klaren Kopf behielt. Sofort hatte sie erkannt, was los war, rannte in die Küche und
kam mit einigen Zwiebelscheiben zurück. Die Stiche wurden damit behandelt, so dass langsam wieder Ruhe in die Gesellschaft kam. Die gute Stimmung allerdings ging flöten, und ich war mal wieder der Sündenbock.

Glücklicherweise zeigte der gute Wein seine Wirkung, auch die herrlichen Torten, die zum Kaffee gereicht wurden, glätteten die Wogen, so dass bis zur Abreise der Gäste nur noch ein paar Schwellungen an den Zwischenfall erinnerten. Vater hatte auch seine Promille intus, so war er, nachdem die Gäste alle fort waren, nicht mehr zum Schelten aufgelegt. Und mir wurde die Strafe erspart.

http://meine.stimme.de/themen/lausbubengeschichten... 

Autor:

Angelika Di Girolamo aus Künzelsau

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