Bericht zur Aktionswoche der seelischen Gesundheit (10-20.Oktober 2022)

Seit einem Jahr gibt es nun unsere Selbsthilfegruppe bei Depressionen und die Erfahrungsberichte, die wir als Betroffene untereinander austauschen, ähneln sich in vielen Punkten, sind aber je nach eigener Lebenserfahrung und Diagnose doch auch so unterschiedlich.

Was alle berichten, ist dass da auf einmal ein schwarzer Schatten in die Gedanken gekommen ist. Dieser wurde immer stärker und verursacht einen Druck auf der Brust. Man bekommt auf einmal Rückenschmerzen oder hat vermehrten Harndrang. Irgendwann hat man keinen Appetit mehr und hat Schlafstörungen. Man kann immer weniger lachen, man verliert seine Empathie, kann immer weniger mit anderen Menschen mitfühlen. Es beginnen extreme Selbstzweifel: „Habe ich heute alles richtig gemacht?“, „Warum hat mich der Kollege heute so komisch angeschaut?“, „Passe ich mit meinen Eigenschaften überhaupt in diese Gesellschaft?“, „Ich bin viel zu schwach.“, „Warum schaffen das meine Freunde und ich nicht mehr?“; „Meine Familie versteht mich nicht“.

Man fühlt sich immer isolierter, macht vieles mit sich selbst aus, verkriecht sich in sein Schneckenhaus, man wird einsamer. Die Lebenslust lässt nach.
Hinzu kommt, dass die Gedanken bis in die Nacht hinein kreisen und man sie nicht zum Schweigen bringen kann. Vielmehr wird es eine dunkle Gedankenspirale. Morgens schafft man es dann nicht mehr aus dem Bett. Man bekommt auf einmal die einfachsten Aufgaben auf der Arbeit nicht mehr hin. Es folgen Blackouts und man starrt auf einmal apathisch vor sich hin. Man vergisst was man gerade machen wollte. Abends ist man zu erschöpft, um sich mit Freunden zu treffen oder seinen Hobbys nachzugehen. Irgendwann schafft man es nicht mehr den Haushalt in Ordnung zu bringen oder einkaufen zu gehen. Oder es gibt das andere Extrem, dass man sich immer mehr in dem eigenen Hamsterrad verrennt und von morgens bis nachts arbeitet oder beschäftigt ist.

Man versteht die Welt nicht mehr. „Ich schaffe es nicht mehr meine Aufgaben zu erledigen ohne ständig Pausen machen zu müssen!“ und man beginnt sich selbst zu tadeln.

Irgendwann fällt es auch der Familie oder den Freunden auf. Oftmals kommen lieb gemeinte Ratschläge wie „Schlaf mal richtig aus!“, „Mach mehr Hobbys!“ aber auch weniger lieb gemeinte Worte wie „Reiß dich zusammen!“; „Du hältst ja gar nichts mehr aus!“ ; „Du brauchst ein dickeres Fell!“

Man verschließt sich immer mehr und spätestens wenn der Arbeitgeber zum Personalgespräch einlädt, zieht es bei den Betroffenen den Stecker.

Endlich traut man sich zum Arzt. Wenn man Glück hat, ist es ein feinfühliger Arzt, der sich mit dem Thema Depression bereits auseinandergesetzt hat und gleich weiß welche Schritte man einleiten muss. Es gibt eine Überweisung zum Psychiater und zu einem Psychotherapeuten. Oder wenn es ganz schlimm ist, geht der Weg erst einmal in eine Psychiatrie.

Was wir in unserer Gruppe festgestellt haben, ist, dass viele Betroffene im süddeutschen Raum soweit in die negative Gedankenspirale gerutscht sind, dass das Thema Suizid mehrfach aufgetaucht ist. Im Norden Deutschlands wenden sich die Betroffenen schneller an das Gesundheitssystem um dort Hilfe zu bekommen.

Woran liegt das? Ist das Motto „Schaffa, schaffa, Häusle baue“ und die „German Angst“ so stark in uns verankert, dass man niemals Schwäche zeigen darf? Fühlt man sich so gezwungen in die gesellschaftlichen Normen und in die Leistungsgesellschaft zu passen? Muss der eigene Ruf oder der Ruf der eigenen Familie bzw. Firma auf Teufel komm heraus gewahrt werden?

Gilt die Depression in unserer Gesellschaft daher immer noch als Schwäche, obwohl sie mittlerweile die Volkskrankheit Nummer eins in Deutschland ist und jeder Deutsche in seinem Leben mindestens 3 depressive Phasen erlebt?

Und obwohl die Depression die Volkskrankheit Nummer eins ist, schweigen viele Betroffene, deren Familien oder die Arbeitgeber darüber. Leider ist die Depression in Deutschland immer noch ein Tabuthema, was den Betroffenen noch mehr das Gefühl gibt, sich alleine damit auseinander setzen zu müssen.

Daher freuen wir uns über kleine Änderungen, die mittlerweile stattfinden. Zum Beispiel ist die Depression auch bei den Berufsgenossenschaften angekommen und wird dort als ernstzunehmendes Thema behandelt. Wenn Ihnen also Depressionen bei der Arbeit begegnen, können Sie diese nun der Berufsgenossenschaft melden. Für den Fall, dass der Arbeitgeber nicht aktiv wird.

Aber auch Ärzte werden wachsamer wenn Patienten von entsprechenden Symptomen sprechen. Wir hoffen dennoch, dass sich weitere Ärzte (vor allem Hausärzte als erste Ansprechpartner) sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen. Denn für uns Betroffene ist es ein schwerer Schritt sich Hilfe zu holen, da wir uns oftmals sehr schwach und einsam mit unserem Problem fühlen. Daher ist es wichtig, dass man sich für uns Zeit nimmt und unsere Anliegen ernst nimmt. Denn leider kann diese Krankheit auch tödlich enden, wenn es um einen sehr schlecht steht und man keinen Ausweg mehr sieht.

Wichtig ist aber auch zu erwähnen, dass sich die Psychiatrie sehr gewandelt hat. Vergessen Sie daher bitte das Bild von Menschen in Zwangsjacken, die örtlich weggesteckt werden. Vielmehr ist es heutzutage eine Akutstation, in der man nicht nur mit Medikamenten sondern auch mit psychologischen Gesprächen behandelt bzw. betreut wird. Das Personal dort ist sehr wohlwollend und wertschätzend und möchte den Menschen wieder zurück ins Leben helfen. Man wird dort nicht verurteilt.

Sobald man aus der stationären Klinik (Psychatrie oder psychosomatischen Klinik) entlassen wird, gibt es die Möglichkeit in eine Tagesklinik zu gehen, um langsam wieder in das eigene Leben zurück zu finden. Denn die Tagesklinik wird meist von 8 – 16 Uhr besucht. Hier gibt es außerdem einen Wochenplan, sodass man in seinem Leben wieder Struktur und Halt findet.

Wichtig ist aber vor allem, dass man einen Psychiater und einen Psychotherapeuten aufsucht. Der Psychiater findet in gemeinsamen Gesprächen mit Ihnen heraus, welches Medikament zu Ihren Symptomen passt und wie Sie auf die Medikamente reagieren, sodass diese umgestellt werden können. Denn bei Depressionen ist oftmals der Haushalt der Neurotransmitter im Gehirn gestört und muss wieder in Balance gebracht werden.

Der Psychotherapeut führt mit Ihnen eine Gesprächstherapie. Dabei gibt es verschiedene Fachrichtungen bspw. die Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologie. Wenn Sie unsicher sind welche Therapie für Sie die richtige ist, können Sie gerne bei Ihrem ersten Psychotherapeutentermin darüber sprechen. Zu Anfang haben Sie bei einem Psychotherapeuten Probesitzungen (genannt probatorische Sitzungen). In dieser Zeit können Sie feststellen, ob die Chemie zwischen Ihnen stimmt und ob Sie sich bei diesem Therapeuten öffnen können. Während oder nach den Probesitzungen können Sie den Psychotherapeuten wechseln. Auch für die Krankenkassen ist es kein Problem, wenn sie den Therapeuten oder Psychiater wechseln möchten.
Wichtig ist, dass Ihnen richtig geholfen wird und dass man sie ernst nimmt. Nur darauf kommt es an.

Psychiater und Psychotherapeuten finden Sie unter anderem unter https://www.arztsuche-bw.de/ der in dem Ratgeber von Heilbronn https://www.heilbronn.de/fileadmin/daten/stadtheil...

Möchten Sie sich Meinungen über Ärzte, Psychiater und Psychotherapeuten einholen, so finden Sie Bewertungen unter https://www.jameda.de/.

Neben diesen Hilfsangeboten hat sich auch ein gutes Netzwerk an Selbsthilfegruppen in Heilbronn entwickelt. Diese werden auch von den Krankenkassen und von Selbsthilfebüros unterstützt.
Die Selbsthilfegruppen finden Sie unter https://www.paritaet-hn.de/de-de/selbsthilfebuero-...

Wir sind sehr froh, dass das Gesundheitssystem sich gewandelt hat und das Thema „Depression“ dort sehr zentral angekommen ist. Es gibt ein Netz, dass uns auffängt.
Und auch finanziell sind wir erstmal abgesichert, bis wir wieder in unser bisheriges Leben zurück können. Die ersten 6 Wochen der Krankschreibung zahlt der Arbeitgeber. Danach haben wir Anspruch auf 18 Monate Krankengeld. Außerdem gibt es in den Kliniken Sozialberatungen, die uns auch in diesem Bereich beraten. Wenn wir die Kliniken dann verlassen, gibt es bspw. den Weinsberger Hilfsverein, der uns unterstützt. https://hilfsverein.org/

Nach unseren stationären Aufenthalten bitten wir unsere Nachbarn und Arbeitgeber darum, nicht zu denken, dass wir faul zu Hause bleiben oder „Urlaub“ machen. Ein gebrochenes Bein kennt man, eine gebrochene Seele leider nicht. Dennoch braucht beides Zeit um zu heilen.

Bitte verurteilen Sie uns, und auch „sich“ nicht zu schnell, sollten sie davon betroffen sein oder jemanden kennen. Hinter jeder depressiven Erkrankung steckt eine lange Leidensgeschichte. Wenn also Ihr Nachbar länger zu Hause ist oder Ihr Mitarbeiter länger bei der Arbeit fehlt, versuchen Sie sich in unsere Lage einzufühlen und stellen sie sich vor wie es ist, Stacheln im Gehirn und in der Seele zu haben. Ein Lächeln und eine wohlwollende Begrüßung von Ihnen an der Mülltonne oder am Briefkasten sowie eine Genesungskarte von den Arbeitskollegen würde uns sehr freuen, helfen und uns unterstützen bei dem Weg in die Eingliederung in das alltägliche Leben.

Schenken Sie uns Positivität in unserem Leben. Denn es zeigt uns, dass wir trotz allem ein Teil dieser Gesellschaft sind. Wir danken Ihnen vielmals dafür.

Wichtige Nummern im Notfall:
Bei akuten Suizidgedanken wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge: Telefonnummer 0800.1110222.

Gehen Sie so schnell wie möglich zu Ihrem Hausarzt oder wenden Sie sich an das ZfP Weinsberg (Telefonnummer: 07134 75-0).

Außerdem unterstützt auch der Verein „Arbeitskreis Leben Heilbronn“ in suizidalen Krisen (Kontakt: Telefonisch unter der Rufnummer (07131) 16 42 51; Montag, Dienstag und Freitag: 10-12 Uhr; Donnerstag: 13-15 Uhr)

Autor:

Selbsthilfegruppe für Erwachsene mit Depressionen (30-60 Jahre) aus Heilbronn

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