Interview mit der langjährigen Vorsitzenden Ulrike Bauer-Dörr
Fast 35 Jahre lang hat Ulrike Bauer-Dörr die Fäden von Menschen in Not in der Hand gehalten. Als Lokalredakteurin der Heilbronner Stimme hat sie die Aktion betreut und bekannt gemacht. Zum Abschied erzählt die langjährige Vereinsvorsitzende von ihrer Motivation, den Veränderungen und ihren Menschen in Not.
Was unterscheidet Menschen in Not von anderen Spendenaktionen?
Ulrike Bauer-Dörr: Wir legen zusammen mit unseren Sozialpartnern viel Wert auf die Einzelfallhilfe. Zu uns kann jeder kommen, der in einer Notlage ist. Das gibt es selten.
Was zeichnet die Aktion aus?
Bauer-Dörr: Wir sind sehr direkt, sehr regional und entscheiden vergleichsweise schnell. Unsere Stärke ist, dass wir in der Zeitung präsent sind. Das ist der beste Werbeträger, viele Organisationen beneiden uns darum.
Wie kamen Sie zu Menschen in Not?
Bauer-Dörr: Im November 1983 wurde ich Redakteurin in der Stadtkreis-Redaktion der Heilbronner Stimme. Die Kollegen haben gesagt, ich soll doch einfach mal bei der gerade laufenden Aktion mitmachen.
Was war Ihr erster Eindruck?
Bauer-Dörr: Ich empfand die Sache als ziemlich unstrukturiert. Auf dem Papier war zwar ein vierköpfiges Team aus Redakteuren für die Aktion zuständig, aber irgendwie hatte keiner so richtig Zeit.
Sie haben sich die Zeit dafür genommen. Warum?
Bauer-Dörr: Ich spürte, dass keiner der Kollegen auf Dauer ernsthaft einsteigen wollte. Und so war es ganz schnell allein mein Ding. Mich hat immer der Kontakt mit den Hilfesuchenden und den Spendern motiviert. Ich habe unzählige Namen und Gesichter vor mir, das ist alles sehr persönlich. Es menschelt unheimlich bei Menschen in Not.
Welche Begegnungen haben Sie besonders betroffen gemacht?
Bauer-Dörr: Viele Fälle sind tragisch und mit Emotionen verbunden. In starker Erinnerung geblieben sind mir einige ältere Frauen. Eine besaß keine Zudecke, ich hatte zufällig in ihrer Wohnung einen Wintermantel gesehen. Sie räumte ein, schon lange kein Federbett mehr zu besitzen und sich nachts mit dem Mantel zuzudecken. Oder die alte Dame, der unsere Sozialarbeiterin eine Glühbirne an einer Deckenlampe austauschte. Die Frau hatte niemanden, den sie darum bitten konnte. Oder die Frau, die täglich die Bahnhofstoilette aufsuchte, weil die Kloschüssel in ihrer Wohnung zerbrochen war. Großes Mitgefühl hatte ich auch immer, wenn Strom und Heizung abgestellt waren. Eine Betroffene gab zu, dass sie ihr Kaffeewasser mit einem Tauchsieder heimlich an einer Steckdose im Keller des Mietshauses heiß machte. In allen Fällen konnten wir mit vergleichsweise kleinen Beträgen helfen.
Was ist Ihnen besonders negativ aufgefallen?
Bauer-Dörr: Wenn Menschen in Not, meist sind es ja Frauen, erwachsene Kinder haben, die ihre Mutter nicht unterstützen. Die scheinen blind für die Not der Eltern zu sein. Fakt ist, dass die eigenen Kinder praktisch nie um finanzielle Nothilfe gebeten werden. Sich an unsere Spendenaktion oder eine soziale Organisation zu wenden, scheint weniger schambesetzt zu sein. Einmal erzählte mir eine Rentnerin, der wir schon mehrmals geholfen hatten, dass sie jetzt das Telefongespräch beenden müsse, ihre Tochter käme sie gleich besuchen. Die sei Managerin in einer großen Firma – ich war fassungslos.
Wird man auch angelogen?
Bauer-Dörr: Man entwickelt dafür ein Gespür. Manchmal können die Zahlen nicht stimmen, oder Leistungen werden gar nicht beantragt. Es kommt vor, dass absichtlich was weggelassen wird – zum Beispiel der Partner, der arbeiten geht, ein Einkommen oder eine Suchterkrankung, die der wahre Grund für das finanzielle Desaster ist. Da wir die Leute im Zweifel zur weiteren Beratung an die Sozialverbände weitervermitteln und Spendengelder in der Regel über Sozialarbeiter auszahlen, kann man das trotzdem im Sinne der Spender steuern.
Wie gelingt das?
Bauer-Dörr: Wir verteilen nach bestem Wissen und Gewissen das Geld unserer Leser an Bedürftige. Dabei müssen wir zum Glück nicht jeden Euro zweimal herumdrehen, sondern können immer helfen, wenn wir es für richtig halten. Wir beschäftigen im Medienunternehmen eine Sozialarbeiterin, die unsere Menschen in Not oft noch monatelang berät oder sie an andere Beratungsstellen vermittelt.
Hatten Sie manchmal das Gefühl, dass Spenden nicht bei denen ankamen, die unsere Leser vor ihrem geistigen Auge haben?
Bauer-Dörr: Wir legen für niemanden die Hand fürs Feuer, bemühen uns aber sehr, die Umstände für das Entstehen der Notlage herauszufinden. Wir sehen sehr wohl, dass die mitunter selbst verschuldet ist, aber deshalb kann man die Leute ja nicht noch mehr bestrafen. Wenn Kinder im Haushalt sind, haben wir unsere Bedenken immer zurückgestellt. Ausbezahlt wird das Geld ohnehin fast immer über Sozialarbeiter.
Wie hat sich die Aktion in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert?
Bauer-Dörr: Wir haben inzwischen jedes Jahr steigende und sehr hohe Spendenergebnisse. In den ersten Jahren war das noch sehr überschaubar. In den Anfangsjahren mussten die Leser ihre Spenden sogar noch persönlich im Medienhaus an der Allee abgeben. Der große Aufschwung kam mit der Einführung von Girokonten bei drei Banken. Der Kreis der Organisationen, Beratungsstellen und Projekte, die wir bedenken, hat sich ebenfalls sehr stark vergrößert.
Und was bleibt nach mehr als 30 Jahren für Sie persönlich?
Bauer-Dörr: Es ist ein gutes Gefühl, dass ich mit dem Geld unserer Leser so vielen Menschen helfen konnte. Es hat mir auch immer bewusst gemacht, in welch glücklicher Situation ich persönlich bin.
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