Synagoge Affaltrach
Lesung von Helmut Ortner aus seinem Buch „Volk im Wahn: Hitlers Deutsche oder die Gegenwart der Vergangenheit“
Der Freundeskreis der ehemaligen Synagoge Affaltrach e.V. freut sich, Herrn Helmut Ortner, Journalist und Buchautor, zur Lesung aus seinem Buch „Volk im Wahn“, ein Buch gegen das Vergessen, begrüßen zu dürfen. Ortners Recherchen sind erhellend und empörend zugleich. Eine echte Entnazifizierung hat es nie gegeben. Geschichtsverleugnung und -umdeutung hatten Hochkonjunktur, in der Adenauerpolitik und darüber hinaus. Ortner beleuchtet insbesondere die Rolle der Justiz und liest, um regionalen Bezug herzustellen, über die Karriere Hans Filbingers, der von 1966 – 1978 als Ministerpräsident Baden-Württemberg erfolgreich regiert hatte. Seine Vergangenheit: Filbinger war als examinierter Jurist von 1943 – 1945 Marinerichter und hatte in diesem Amt Todesurteile beantragt und deren Vollstreckung vorangetrieben. 1978 äußert sich Filbinger öffentlich: „Was damals Recht war, kann heute nicht unrecht sein.“ In seiner Kürze belegt dieses Zitat, dass da jemand nicht begriffen hatte oder nicht begreifen wollte, dass formales Recht nur allzu rasch Unrecht werden kann. Als Folge musste Filbinger angesichts der wachsenden öffentlichen Kritik und des verlorenen Rückhalts seiner Partei aus seinem Amt zurücktreten. Nur ein Beispiel welches belegt, dass in den 50er Jahren viele alte Nazis, Mitglieder der NSDAP und des nationalsozialistischen Terrorapparats wieder in Amt und Würden kamen, in der Justiz, im Hochschulsektor, in der Medizin und in der Verwaltung. Konrad Adenauer kommentierte dies mit dem zynischen Satz: „Wer kein sauberes Wasser hat, kann das schmutzige nicht wegschütten.“
Heute ist Krieg in Europa. Krieg ist immer eine Katastrophe und es gibt Muster, Muster die sich wiederholen. Denn Geschichte vergeht nicht, Geschichte geht fort.
Aus diesem Grund appelliert Ortner an die geistige und ideologische Beschaffenheit unserer Gesellschaft, an unsere Verpflichtung, uns zu erinnern. Wir dürfen historische Demenz und Ignoranz nicht zulassen. Denn, Hitler ist nicht über die Deutschen gekommen, die Deutschen sind zu Hitler gekommen.
Im zweiten Teil seiner Lesung hält Ortner ein Plädoyer für die Demokratie, die er als Weltanschauungsfreiheit sieht. In einer Zeit, in der wir uns im permanenten Krisenmodus befinden, wünscht er sich zum Schutz unserer demokratischen Freiheit eine bessere Streitkultur, denn Streit ist der Sauerstoff für eine offene liberale Gesellschaft. Er lebt vom Kompromiss und Konsens und ist systemrelevant, denn die Demokratie lebt von der Kontroverse. Toleranz ist gefragt, nichts ist demokratiefeindlicher als Intoleranz und Denken im Gleichschritt.
Wer dieses Thema für sich vertiefen möchte, wird in dem Buch „Widerstreit“ fündig, welches bald mit einer Neuauflage erscheinen wird.
Der Abend in der voll besetzten Synagoge endet mit einer sehr emotionalen Gesprächsrunde der beeindruckten Zuhörer zu diesen brisanten Themen.
Sonja Weller
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