La Dolce Vita – Das süße Leben
Heute habe ich mich wieder an die ersten abenteuerlichen Reisen nach „Bella Italia“ erinnert.
Wir schreiben das Jahr 1966 – alle sprachen von einem neuen Urlaubsland „dort wo die Zitronen blühen und die Sonne den ganzen Tag am blauen Himmel scheint und lacht und von der Adria, dem herrlichen Meer mit seinem wundervollen Sandstrand. Bella Italia war das neue Reiseziel der deutschen Familien – weit weg und unbekannt – aber so reizvoll und verlockend – man musste es gesehen haben. Die vielen leidenschaftlichen, italienischen Schlager im Radio, die italienischen Spielfilme und die Reiseberichte über das Land Italien im Fernsehen erzeugten Urlaubsstimmung. La Dolce Vita zeigte uns den lässigen, leichten Lebensstil der Italiener. Das Leben genießen, in geselliger Runde zusammen sein, dies alles war den Italienern wichtig – ein gutes Essen und ein gutes Glas Wein – in der Mittagshitze die Siesta und am Abend wieder reges Treiben auf den Straßen und in den Geschäften. Motorroller und kleine Fiat 500 sah man durch die engen Gassen flitzen. Bei den Reiseberichten spürte man die Sonne, den Sommer, das Meer und den Strand. Italien – ein für uns fremdes Land – diese italienische Lebensart und den südländische Flair bei Cappuccino unter Palmen wollten wir in unserem Urlaub erleben.
Wir entschieden uns für einen Urlaub auf dem Campingplatz mit eigenem Strand.
Ein Zelt, Luftmatratzen und Schlafsäcke wurden besorgt und für unsere Mutter gab es einen Gaskocher und viel Plastikgeschirr für die Verköstigung der Familie. Das Auto wurde gepackt und dann begann das Abendteuer „Bella Italia“.
Unser Vater hatte sich eine Landkarte mit Straßenverzeichnis gekauft und alle wichtigen Wegstecken und Städte in einem Büchlein notiert – sorgfältig wurde alles geplant – es lang ja eine weite uns unbekannte Reisestrecke vor uns.
Die große Kühltasche mit Reiseproviant war für unsere Mutter am wichtigsten.
Die Fahrt war lange – für uns Kinder zu lange. Zuerst war die Reiselust im Vordergrund – dann aber nur noch die Ungeduld. Alle Ratespielchen, Lieder singen und Vorlesegeschichten meiner Mutter halfen am Ende nichts mehr. „Wann sind wir endlich da“ war die einzige Frage, die wir Kinder immer wieder stellten. Die Fahrt wurde zur Geduldsprobe für alle Beteiligten. Dann endlich überquerten wir den Brenner und bald hatten wir die Grenze nach Italien erreicht. Danach sah alles anders aus – die weiß getünchten Häuser versetzten uns schon in Urlaubsstimmung. Auf endlos langen Landstraßen fuhren wir stundenlang an Wiesen und Feldern vorbei, durch kleine Städte und Dörfer. Am Straßenrand standen immer wieder Gemüse- und Obststände und bei kleinen Geschäfte in den Städten hingen bunte Luftmatratzen, Schwimmreifen, Bälle und allerlei Spielzeug an der Hausfassade. So etwas kannten wir von zuhause nicht. Dann endlich war das Ziel erreicht. Auf dem Campingplatz „NSU Lido“ hatten wir einen Zeltplatz unter schattigen Bäumen gebucht. Das Zelt wurde aufgebaut und eingerichtet und dann gingen wir an den Strand. Schon von weitem hörten wir das Rauschen der Wellen, die Luft roch nach Meer und die heiße Sonne leuchtete am Himmel. Die Strandpromenade war wunderschön – überall standen Ruhebänke – von hier aus konnte man den Strand und das Meer sehen – wir waren überglücklich – hier durften wir Urlaub machen – wir freuten uns alle. Jetzt gab es aber kein Halten mehr – mit Anlauf rannten wir mit unserem Vater in die rauschenden Wellen – eine herrliche kühle Erfrischung nach der langen Fahrt.
Später machten wir einen Rundgang über den Campingplatz und waren erstaunt, was es alles gab. Viele kleine Geschäfte reihten sich aneinander, ein großer Supermarkt war auch vorhanden. Am besten gefallen hatten uns Kindern natürlich der Eisstand, der Melonenstand und der Früchtestand – hier konnte man sich Früchte aussuchen und daraus wurde ein Milchshake gemacht. Der für uns wichtigste Stand aber war der Eisstand – wir hatten ja nur eine Kühltasche dabei und so musste man jeden Morgen beim Eisstand frisches Eis für die Kühlung der Kühltasche kaufen. Von großen rechteckigen Eisstangen wurden Stücke mit einer Axt abgeschlagen und in Beuteln verstaut - das war der morgendliche Job meines Bruders dieses Eis zu besorgen. Und dann gab es noch die großen Waschhäuser mit Waschbecken, Duschen, Toiletten, Geschirrspülbecken und extra Waschbecken in denen man die Badehosen auswaschen konnte. Alles hatte seine Ordnung und abends wurde über Lautsprecher die Nachtruhe angekündigt – man wünschte allen Campern eine gute Nacht und dann endete der Tag mit einem italienischen Lied aus dem Lautsprecher und am Morgen wurden wir vom Lautsprecher freundlich geweckt und wieder mit einem Lied auf den Tag eingestimmt. Mittagsruhe war immer von 13 bis 15 Uhr, da mussten alle leise sein und unser Vater schlief in dieser Zeit selig auf seiner Sonnenliege hinter dem Zelt. Alles war so unbeschwert und federleicht – wir waren alle glücklich und zufrieden – Italien war wirklich wunderschön.
Jeden Morgen holte mein Bruder das Eis und ich holte die Brötchen beim Bäcker. Jeden Morgen stand eine lange Menschenschlange vor dem Laden und ich musste immer lange warten – bei meinem ersten Einkauf sagte ich zur Verkäuferin „bitte 4 Weckle“. Das verstand sie aber nicht und so ging ich zu den Wecken und zeigte auf sie und zeigte ihr 4 Finger. Das klappte – ich war mächtig stolz. Dann wurde ich zum Supermarkt geschickt – eine Dose Bärenmarke kaufen. Das hatte ich zuhause schon oft eingekauft – kein Problem dachte ich. Der Supermarkt war groß und alles was in den Regalen stand war mir völlig unbekannt. Die Verkäuferin verstand mich auch nicht und so lief ich zum Ausgang. Da kam gerade mein Vater mit dem Übersetzungsbüchlein in der Hand herein – er hatte sich schon gedacht, dass es hier keine Bärenmarke Milch gab. Er zeigte der Verkäuferin ein Wort in seinem Büchlein und die nickte und brachte eine kleine Dose.
Vorne in der Kassennähe sah ich etwas Verlockendes stehen – ein bunt bemaltes Trinkglas, mit einem weißen Deckelchen und der mir so bekannten Nutella Schrift oberdrauf. Nutella gab es nie bei uns zuhause – wir hatten ja selbst gemachte Marmelade. Meine Bitte so ein schönes Glas zu bekommen wurde von meinem Vater erhört und so aßen wir jeden Morgen – mein Bruder, mein Vater und ich ein leckeres Nutella Brötchen. So konnte der Tag genüsslich beginnen.
Jeden Morgen liefen wir vollbepackt mit Handtüchern, Sandeimer, Sandschaufel, Luftmatratzen und Schwimmreifen zum Sandstrand. Wir bauten große Sandburgen, sammelten Muscheln am Strand, spielten Wasserball und spielten Wellenreiten mit unseren Luftmatratzen. Manchmal durften wir uns beim Eismann auf der Strandpromenade ein leckeres Eis kaufen oder eine kühle erfrischende Melonenscheibe. Zur Mittagsruhe ging es dann wieder zum Zelt zurück und abends besuchten wir die schönen Restaurants mit den herrlichen italienischen Speisen. Für uns Kinder war natürlich Pizza das Allerbeste. Nach dem Essen gab es immer Tanz auf der Restaurantterrasse – das liebten unsere Eltern sehr – sie tanzten gerne zu dieser temperamentvollen italienischen Musik und wir Kinder schauten glücklich zu. Die Atmosphäre mit italienischer Musik und Kerzenschein war schon etwas ganz Besonderes.
Der Höhepunkt einer jeden Woche waren für uns Kinder die Sportflugzeuge. An den Wochenenden flogen immer Sportflugzeuge über den Strand und warfen kleine Beutelchen ins Meer. Alle sprangen dann auf und fischten die Beutel aus dem Wasser – das war eine Freude. In den Beutelchen waren kleine Spielsachen oder Süßigkeiten für die Kinder – wir haben uns immer sehr darüber gefreut.
An bestimmten Tagen gab es im Nachbarort einen großen Markt. Dieser Markt war für uns alle ein großes Erlebnis. Gemüse und Obst, Bekleidung, Spielsachen, Haushaltsartikel und Keramikwaren - wir waren überwältigt – es gab so vieles zu sehen und zu kaufen. Bunt und laut geht es auf den Märkten zu – ein stimmungsvolles Markttreiben das wir aus unseren Geschäften nicht kannten. Dazu das fröhliche, lebendige, temperamentvolle plaudern der Verkäufer und Käufer untereinander – hier lernten wir das italienische Leben so richtig kennen und lieben. Die Eltern kauften viel Obst und einen guten Wein und wir Kinder hatten nur Augen für die vielen Spielzeugstände. Was es hier alles gab – wir kamen aus dem Staunen nicht heraus – in dem Moment hätten wir am liebsten alles gekauft – aber das ging ja leider nicht. Von den Großeltern hatten wir ein bisschen Urlaubsgeld bekommen – auf dem Markt wollten wir uns davon etwas kaufen. Ich kaufte mir ein Plastikschiffchen mit einer langen Schnur – das Schiff wollte ich durch die Wellen ziehen. Mein Bruder kaufte sich eine Wasserpistole. Eigentlich hatte er die Wasserpistole nicht für sich gekauft, sondern nur für mich. Die kommenden Tage wurde ich bei jeder Gelegenheit mit der Wasserpistole nass gespritzt und die Schadenfreude meines Bruders nahm kein Ende. Da meinte mein Vater so ganz beiläufig zu mir – auch kleine Sandeimer kann man mit Wasser befüllen. Als wir abends schick gekleidet vor dem Zelt auf unsere Mutter warteten – lief ich mit meinem Eimerchen zum Waschhaus. An diesem Abend kam mein Bruder etwas verspätet zum Abendessen ins Restaurant – er hatte sich irgendwie nass gemacht…
An diesem Abend beschlossen unsere Eltern einen Ausflug nach Venedig zu machen. Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Auto zu einem Parkplatz – von da ging es mit dem Schiff weiter nach Venedig. Schon von weitem konnte man die großen, herrschaftlichen Paläste, den Markusplatz und den Markusdom sehen. Die vielen kleinen Gässchen und Brücken, die vielen Kanäle und die Gondeln, die kleinen Geschäfte mit schönen Kleidern und Schmuck, die Tauben auf dem Markusplatz – alles hat uns sehr beeindruckt und gefallen. Und das alles steht auf Holzpfählen erklärte unser Vater. Es war ein schöner Ausflug – die italienische Leichtigkeit, das südländische Flair – das Geheimnisvolle der Stadt Venedig haben wir sehr genossen.
Die Tage vergingen wie im Fluge – jeder Tag war wunderschön – am Strand lernten wir immer neue Kinder kennen – unsere Eltern waren immer entspannt und vergnügt – überall wurde geplaudert und gelacht – überall buntes Treiben und wir mittendrin – einfach herrlich. Die Urlaubsstimmung war einfach wunderschön und am liebsten wären wir für immer hier geblieben – das Land, die Menschen, das Meer und der Strand – Bella Italia hatten wir lieb gewonnen.
Doch dann hieß es wieder Abschied nehmen, alles wurde abgebaut und im Auto verstaut – wir wollten in der Nacht wieder losfahren gen Heimat. Eine letzte Abschiedsrunde wurde gemacht und jeder durfte sich noch etwas als Urlaubserinnerung kaufen. Die italienischen Bikinis hatten mir schon immer gefallen und so durfte ich einen roten Bikini mit nach Hause nehmen. Mein Bruder kaufte sich ein paar Gummipfeile und einen Bogen – was er wohl damit vorhatte…
Die Rückreise ging irgendwie schneller als die Anreise und so schön der Urlaub auch war – wir freuten uns alle auf zuhause und auf Oma und Opa. Als wir die Grenze überquerten sagte mein Vater zu meiner Mutter „Bella Italia – wir kommen wieder.“
Die nächsten Jahre fuhren wir dann mit unserem Wohnwagen an die Adria. Noch heute denke ich oft an die unbeschwerten, fröhlichen Urlaubstage, die wir mit unseren Eltern in Italien genossen haben, zurück.
La dolce Vita – das süße Leben - bleibt immer in meinem Herzen!
Autor:Heide Böllinger aus Bad Friedrichshall |
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