Ein Vertragsangebot liegt vor - und nun?

Bewerber sollten die letzte Entscheidung umsichtig absichern

Herbert S., 39 J., war Maschinenbauingenieur und als ausgezeichneter Fachmann mit breiter Grundlage mehrfach als qualifiziert und erfolgreich bestätigt worden. Seit 2 Jahren war er jetzt in einem Fertigungsbetrieb, übte in seinem Fachbereich aber nicht die Aufgabe aus, die er vorher seit Jahren bis ins Detail beherrschte, sondern war auf einen Bereich ausgewichen, den man lediglich als "Einstieg" in eine sich daraus ergebende größere Verantwortung gewertet hatte. Fachlich war er auch hier über jeden Zweifel erhaben. Lediglich mit den Ergebnissen seiner Arbeit schien etwas nicht mehr so recht zu klappen. Unstimmigkeiten mit seinem Vorgesetzten spitzten sich zu, er selbst wurde unzufrieden, der Arbeitstag wurde zur Last, seine Projekte schienen sich in die Länge zu ziehen, ohne daß es zu sichtbaren Fortschritten kam. Er sah die Ursache bei der Betriebsleitung, die ihm bei seiner Einstellung zugesagt hatte, daß er 1 - 2 Mitarbeiter zur Unterstützung bekommen würde. Sein eigener Bewegungs- und Entscheidungsspielraum deckte sich nicht mit dem, was besprochen worden war, und so konnte er sich nicht in die Richtung mit seiner Arbeit entwickeln, die ihm ursprünglich vorschwebte. Wirtschaftliche Probleme des Betriebes tauchten auf und es kam das Unvermeidliche - sein Chef legte ihm die Kündigung nahe. Letztendlich ein Schritt, der beiden Seiten eine gewisse Erleichterung in der Situation brachte, die vom Konflikt zur existentiellen Krise herangewachsenen war. Trotzdem Herbert S. war jetzt nach Jahren des beruflichen Erfolgs gescheitert. Aber nicht an den fachlichen Anforderungen. Ein Rückblick in die Verhandlungen, die er mit seinem Arbeitgeber geführt hatte, ließ die Ursache in zwei Punkten klar erkennen:

1. Er war Kompromisse eingegangen und von seinen eigentlichen Zielvorstellungen abgewichen. Das in Aussicht gestellte Fernziel interessierte ihn, nicht aber die kurzfristige Kernaufgabe.

2. Er hatte Absichtserklärungen und grobe Ideen der Betriebsleitung bereits als feste und unwiderrufliche Zusagen genommen, ohne sie näher von der Ernsthaftigkeit zu prüfen. Eine schriftliche Fixierung im Arbeitsvertrag hatte nicht einmal andeutungsweise zur Diskussion gestanden. Objektiv war es hier auf beiden Seiten zu erheblichen Fehleinschätzungen gekommen.

Nichts dem Zufall überlassen

Dieses Beispiel aus der Praxis macht deutlich, daß der Unternehmenswechsel -gleich in welcher Aufgabe und Position- zwei Potentiale gleichzeitig beinhaltet: Zum einen die Möglichkeit, größeren Erfolg und persönliche Entwicklung zu erleben, zum anderen aber das nicht vollständig einschätzbare Risiko, vor unausgesprochenen Erwartungen eines weitgehend unbekannten Umfeldes zu stehen, das hinter den Kulissen einer Organisation während der Bewerbungsphase verborgen bleibt. Der umsichtige Bewerber wird deshalb nach Möglichkeiten suchen, seine letzte Entscheidung vor Unterzeichnung eines Vertrages abzusichern. Und hier kann nur ein ausreichendes Maß an Systematik helfen.

Wer seine berufliche Entwicklung nicht dem Zufall überlassen will, unterzieht sich der -in manchen Fällen nicht unerheblichen- Mühe, sein Ziel, daß er mit dem nächsten Engagement erreichen will, konkret festzuhalten und zu beschreiben:

Welche Rahmenbedingungen müssen durch die neue Position erfüllt werden (Konkrete Aufgabeninhalte und erforderliche Vollmachten, hierachische Zuordnung, Einkommen + Zusatzleistungen, Altersversorgung ...)?

Welche persönlichen Erwartungen müssen erfüllt werden (Führungs- und Arbeitsstil, Entscheidungsspielraum, Entwicklungsmöglichkeiten, Ausstattung des Umfeldes, Wegezeiten, Verweildauer im neuen Unternehmen, existentielle Sicherheit, soziale Einbindung ...)?

Welche Einflüsse auf die Familie müssen oder dürfen gegeben sein (Umzug, zeitliche Belastung, materielle Versorgung, Einbindung des Ehepartners ...)?

Welche Auswirkungen sollen oder dürfen sich im außerberuflichen Bereich ergeben? (Freundes- und Bekanntenkreis, Urlaubs-/Freizeitmöglichkeiten, Hobbys, Ehrenämter und soziale Engagements ...)?

Systematisch bewerten

Erstellen Sie sich über diese Impulse zum Beispiel eine Checkliste mit einer 10-Punkte-Bewertungsskala. Nachdem das erwartete Vertragsangebot nun vorliegt, haben Sie jetzt die Möglichkeit, anstatt aus einem verführerischen Enthusiasmus heraus zu bewerten, diszipliniert Punkt für Punkt zu klären, in welchem Umfang Ihre Vorstellungen tatsächlich erfüllt werden. 80 % Ihrer Wünsche sollten im positiven Sinn abgehakt und abgesichert sein. Dennoch gehen Sie davon aus, daß selbst die vollständigste Checkliste nur eins erreichen kann: den Entscheidungsprozeß bewußt zu machen und zu versachlichen, zum Beispiel in der gemeinsamen Diskussion mit dem Ehepartner.

Haben Sie sich auf eine Stellenanzeige hin beworben, dann nehmen Sie sich diese noch einmal vor. Lesen Sie sie jetzt mit dem Hintergrund, den Sie zwischenzeitlich durch Gespräche und weitere Unterlagen über den potentiellen Arbeitgeber und den unmittelbaren Vorgesetzten erhalten haben. Stimmt das "Bild" des Inserats mit allem anderen überein? Oder haben sich zwischenzeitlich Verschiebungen ergeben? Das wäre zum Beispiel bei Positionen, die zum ersten mal besetzt werden, nicht Ungewöhnliches. Erst im Laufe der Diskussionen mit Bewerbern kristallisiert sich das endgültige Bild heraus, weil man sich doch nicht unbedingt in allen anfänglichen Punkten so sicher war und erst jetzt zum genaueren Nachdenken gezwungen wurde, oder weil der Bewerber Absichten und Vorhaben kritisch hinterfragt hat. Grundsätzlich sollten aber alle erkennbaren Abweichungen erklärbar und plausibel sein.

Sind beide Vertragspartner gut informiert?

Haben Sie selbst das Gefühl, daß man sich für Ihren fachlichen Hintergrund und für Ihre Person ausreichend interessiert hat? Sind Sie ausführlich zu allen Punkten befragt worden, die Sie selbst für relevant und wissenswert halten? Hat man die Entscheidung auf der Arbeitgeberseite im "Schnellverfahren" herbeigeführt, dann ist es für den Jubel noch zu früh und es sollte zunächst noch Vorsicht geboten sein. Weiß man nicht detailliert über Sie Bescheid, ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Enttäuschung auf beiden Seiten vorprogrammiert. Der Vorgesetzte, der nach 15 Minuten Gespräch seine Entscheidung trifft, hat möglicherweise nur wenig Erfahrung in der Auswahl von Mitarbeitern, überschätzt sein eigenes Beurteilungsvermögen oder geht bewußt das Risiko einer Fehlentscheidung ein, weil es ihm nichts ausmacht, diese genauso schnell wieder zu korrigieren.

Haben Sie selbst das Gefühl, alles Wissenswerte und Wichtige erfahren zu haben? Ist Ihnen die Aufgabe, um die es im Kern geht, deutlich vor Augen geführt worden? Ist man auf Ihre Fragen gerne eingegangen oder hat sich hier und dort der Eindruck ergeben, daß man ausweicht, indirekt antwortet, Sie vertröstet oder die Dinge nur an der Oberfläche beleuchten möchte? Wissen Sie etwas über die wirtschaftliche Situation des potentiellen Arbeitgebers? Kennen Sie die Erwartungen an Ihr Verhalten, welche Ziele Sie erreichen sollen, welche konkreten Absichten mit Ihrer Einstellung verfolgt werden, ob Sie in ein offenes oder ablehnendes Umfeld hineingehen?

Haben Sie etwas über das vorhandene Wertesystem des Unternehmens erfahren können? Von welchen Normen ist das Denken des Managements geprägt? Geht der Umsatz und das Erreichen 120%-iger Ziele über alles, trifft man eine "Hire and fire"-Mentalität an, wird der Mitarbeiter als ganze Persönlichkeit gesehen, kommt man in den Grenzbereich des legalen Handelns hinein, gibt es ungewohnte religiöse oder kulturelle Einflüsse? Besonders in diesen Fragestellungen ist ein Erfassen der relevanten Werte sehr schwer, aber sie sind in irgendeiner Form immer vorhanden. Und oftmals ist es nützlicher, über diese Orientierungen des Chefs etwas zu erfahren, als über gegebene Sachprobleme stundenlang zu diskutieren.

Mißverständnisse ausschließen

Ist Ihre Entscheidung personen- oder sachorientiert? Wenn die Ausstrahlung des angestellten Geschäftsführers Sie begeistert, dann sollten Sie zumindest bewußt das Risiko einkalkulieren, daß er Sie bei Ihrem Stellenantritt mit seinem Nachfolger bekanntmacht. Die Frage der Führungskontinuität findet in aller Regel nur sehr wenig Beachtung, kann aber existentielle Bedeutung haben. Genauso sollten Sie wissen, wenn der Sohn des Inhabers gerade dabei ist, dieselbe Fakultät zu besuchen wie Sie vor 20 Jahren.

Haben Sie den Betrieb und Ihren zukünftigen Arbeitsplatz gesehen? Deckt sich der optische Eindruck von Maschinen, Grund und Gebäude mit den Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung und die Ausstattung des Büros mit dem beschriebenen Arbeitsstil?

Stimmt der vertragliche Inhalt in allen Punkten überein mit dem, was 1. vereinbart wurde, 2. mit dem, was Sie still voraussetzen? Die meisten Verträge schließen mündliche Nebenabsprachen aus. Aber das eigentliche Problem besteht darin, daß sehr, sehr oft nicht alles so verbindlich gemeint ist, wie es sich zunächst anhört. Da ist die Gehaltsüberprüfung nach der Probezeit versprochen -was ja nicht heißt, daß verbindlich eine Erhöhung vorgenommen werden muß, oder die Beförderung wird in Betracht gezogen - und der langjährige Kollege macht dann doch das Rennen. Die Kette der leichtfertigen Mißverständnisse ließe sich endlos fortsetzen. Aber sie haben alle einen gemeinsamen Nenner, nämlich daß Leistungen, die in Aussicht gestellt sind, mit Zusagen verwechselt werden.

Kommt trotz aller Recherchen, Überlegungen und Bewertungsskalen noch keine Klarheit, bleibt natürlich nur noch die Intuition. Und die ist bekanntlich nicht die schlechteste Grundlage, hat sie doch selbst in höchsten Managementetagen die Planungsarbeit ganzer Stäbe innerhalb von wenigen Minuten für überflüssig erklärt. Es ist erstaunlich, daß das Unterbewußtsein oft Einflüsse registriert, die mehr Botschaft beinhalten als ein zweistündiges Gespräch. Vielleicht ist es nur die Atmosphäre eines Hauses, die Sie auf Jahre hinaus erleben sollen, Ihre positive Grundhaltung aber bereits jetzt beeinflußt. Ein letztes Maß an unkalkulierbaren Faktoren bleibt, aber Sie haben es jetzt auf ein Minimum reduziert und die Aussicht darauf, daß Ihr nächster Schritt erfolgreich wird, hat sich konkretisiert.

Autor:

Philipp Egger aus Heilbronn

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