Siedlungsexperte Stefan Flaig über Gewerbegebiete
„Der demografische Wandel ist unausweichlich!“

Der demografische Wandel schlägt auch in Creglingen zu: Der Anteil der Berententen wächst stetig | Foto: BUND Regionalverband Heilbronn-Franken
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Was bringt ein Gewerbe- oder Industriegebiet einer Kommune? Was Creglingen und der Region konkret? Dieser und anderen Fragen ging am 11. Juli der Siedlungsexperte Stefan Flaig von Ökonsult in seinem Vortrag nach. Eingeladen hatten die IG „Für unsere Region – gegen ein Industriegebiet in Frauental“ und der BUND Regionalverband Heilbronn-Franken. Trotz Temperaturen von deutlich über 30 Grad waren gut 100 Gäste zu dem Vortrag in die Historische Schäferei nach Creglingen-Frauental gekommen, darunter auch Vertreter der Kommunalpolitik und Gäste aus Bayern. Auch der grüne Landtagsabgeordnete Armin Waldbüßer war als zuständiger Betreuungsabgeordneter gekommen.

Unüberprüfte Mythen

„Kommunen verbinden mit Gewerbegebieten viele Hoffnungen“, so Stefan Flaig einleitend. „Leider sind dies meist eher Mythen, die sich um mehr Arbeitsplätze, mehr Gewerbesteuereinnahmen und mehr Einwohner drehen“. Flaig berät seit 15 Jahren Kommunen in der Siedlungsplanung und weiß, „kaum eine Kommune hat jemals eine langfristige Vollkostenrechnung für ihre Gewerbegebiete durchgeführt. Keiner rechnet Erschließungs- und Unterhaltskosten, Straßenbau oder Schuldendienst vollständig ein.“ Deshalb wäre die Datenlage auch schwierig, aber grundsätzliche Aussagen könnten dennoch getroffen werden. Gewerbesteuer würde z. B. bei Gewerbeneuansiedlungen zunächst nicht sprudeln, weil neu angesiedelte Unternehmen anfangs Verluste schrieben. Liegt ihr Stammsitz außerhalb, dann bliebe auch später ohnehin kaum Geld vor Ort. Dazu komme der kommunale Finanzausgleich, der die Einnahmen weiter schmälert. Und da die meisten Gewerbegebiete als Angebotsplanungen laufen und nicht als Bedarfsplanungen, könne es passieren, dass die Kommune ihre freien Gewerbeflächen später deutlich unter Selbstkosten verscherbeln müsse – denn Firmen melden in vielen Kommunen Bedarf an, bauen aber – wenn überhaupt – nur in einer. Das verzerre das Bild des echten Bedarfs. Anscheinend passierte dies auch in Creglingen, wo vollerschlossene Flächen für 12,78 Euro pro Quadratmeter angeboten werden. „Die reinen Erschließungskosten liegen deutlich darüber!“, so Flaig.

Demografie als limitierender Faktor

Auch die Hoffnung auf qualifizierte Arbeitsplätze sei schnell entzaubert. In Zeiten des stetig steigenden Fachkräftemangels könne der ländliche Raum mit der Angebotsvielfalt bei Kultur, Freizeit, Bildung der städtischen Ballungsräume nicht mithalten. „Und deshalb gehen große Firmen in der Regel dahin, wo ihre Fachkräfte leben und Familien gründen wollen“, so Flaig. Wenn Firmen trotzdem ihre Standorte verlagern würden, dann nähmen die Fachkräfte eher das Pendeln hin, als ihre Liebsten aus dem attraktiven städtischen Umfeld herauszureißen. „Ich bezweifle, dass es durch ein Industriegebiet in Creglingen tatsächlich zu einem Mehr an Einwohnenden kommt!“. Größter limitierender Faktor für alle Planungen sei aber der demografische Wandel. „Der ist unausweichlich und lässt sich auch durch neue Wohn- oder Gewerbegebiete nicht überlisten!“ Um ihn aufzuhalten, bräuchte es 2 bis 3 Kinder pro Frau und zwar 30 Jahre lang. Dabei sei die Zuwanderung bereits eingepreist. „Unrealistisch!“. Schon heute gingen jeden Monat in Deutschland rund 80.000 Menschen in Rente, Tendenz steigend. Angesichts der bald dramatischen Konkurrenz um Fachkräfte glaubt Flaig nicht, dass Großprojekte im sehr ländlichen Umfeld das Rennen machen können. „Und wenn, dann sind das Pendler – das bringt Ihnen aber nichts, um Ihren Bevölkerungsrückgang aufzuhalten!“. Eine der wenigen Möglichkeiten sei die Clusterbildung z. B. durch die Ansiedlung von Hochschulen, Forschung und Unternehmen – dann aber massiv von Bund oder Land unterstützt. Wegen der unausweichlichen demografischen Entwicklung seien auch neue Wohngebiete für Kommunen eine Hypothek auf die Zukunft. Viel wichtiger sei es jetzt, den Altbestand zu erhalten und neu zu belegen.

Auf eigene Stärken besinnen

Flaigs Fazit am Schluss war eindeutig: Für Creglingen würde ein neues Industriegebiet nur geringe Gewerbesteuer bringen, die Kosten der langfristig zu unterhaltenden Infrastruktur seinen beträchtlich, der Gewinn von Fachkräften und Neubürgern unwahrscheinlich. Aber was bleibt dann? Der Stuttgarter Siedlungsexperte empfiehlt den Abschied vom Kirchturmdenken und Kooperation statt Konkurrenz zwischen den Kommunen: „Über einen gemeinsamen Zweckverband könnten z. B. interkommunale Pools mit bereits vorhandenen Gewerbeflächen gebildet werden, die gewerbliche Leerstände gemeinsam vermarkten.“ Alle Planungen sollten authentisch sein und zum Charakter des Ortes passen. „Sie haben eine fantastische Landschaft, seltene Naturschätze und große Nachbarschaftlichkeit. Der Trend zum Urlaub im eigenen Land, zu nachhaltigem Tourismus ist der Zukunftstrend. Hier könnten Sie ansetzen und natürlich bei der Förderung der lokalen Wirtschaft.“ An Ideen scheint es vor Ort nicht zu mangeln, das zeigte die anschließende Diskussion: von Wohnmobilstellplätzen, E-Bike-Ladestationen, Wochenend-Event-Paketen bis zu kostengünstigen Co-Working-Spaces für Start-ups nach Oberfränkischem Vorbild oder Mehrgenerationenprojekten war die Rede. „Das alles hätten Sie vor dem Gemeinderat vortragen sollen!“, war eine der ersten Wortmeldungen. Manuela Ott von der Interessengemeinschaft gab zu, dass die Terminkollision mit der Gemeinderatssitzung unglücklich, aber auch dem Terminkalender von Stefan Flaig geschuldet war. Eine Gelegenheit zum Austausch wird es voraussichtlich aber geben: Der grüne Landtagsabgeordnete Armin Waldbüßer möchte sich dafür einsetzen, dass Stadt, Regionalverband und Regierungspräsidium sowie BUND und die Interessengemeinschaft bald zu einem runden Tisch zusammentreffen.

Autor:

BUND Regionalverband Heilbronn-Franken aus Heilbronn

Lixstraße 10, 74072 Heilbronn
+49 7720 58
bund.franken@bund.net
Webseite von BUND Regionalverband Heilbronn-Franken
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