Gestatten ... ich bin der Jungtäuberich Philipp ...

Das war in den ersten Tagen während des Flachliegens in meiner Box. Das Bein strecke ich noch kerzengerade vom Körper weg.
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  • Das war in den ersten Tagen während des Flachliegens in meiner Box. Das Bein strecke ich noch kerzengerade vom Körper weg.
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Ich bin als Jungtaube zu meiner Päpplerin mehr tot als lebend über den Tierschutzverein Hohenlohe gekommen mit der meist nur bei Zucht-, Wild-  und Stadttauben auftretenden, durch das Paramyxovirus übertragbaren Krankheit Paramyxovirose, kurz PMV, genannt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paramyxovirose 

Sie gab mir später den Namen Philipp, weil ich, als ich wieder Lebensmut hatte, bei der täglich zweimaligen Fütterung Körnchen für Körnchen und dem Einführen einer Kropfsonde für Flüssigkeit (Vitamin B-Komplex-Lösung) wie ein Zappelphilipp herumgezappelt bin. Schade, dass man hier keine Videos einstellen kann, denn da könntet ihr meine Fortschritte in der Genesung noch viel deutlicher erkennen.

Wir Tauben, die an PMV erkrankt sind, können infolge Koordinationsstörungen durch die Nerven unsere Bewegungen nicht kontrollieren, nicht alleine fressen und nicht trinken auch wegen der starken Kopfschiefhaltung, anfangs überhaupt nicht stehen und natürlich erst recht nicht fliegen. Man nennt das dann auch Flachliegen. Wenn wir in diesen ersten Tagen nicht von einem Menschen gefüttert und getränkt werden, verhungern wir, kümmert sich aber eine liebe menschliche Seele um uns, haben wir in der Regel die Krankheit, die für andere Tauben hochansteckend ist, meist nach ca. drei Wochen überstanden. So lag ich denn anfangs, als ich meiner Päpplerin gebracht wurde, nur da. Ich hatte keinen Lebenswillen mehr, so dass sie mir  vorsichtig, aber unter Zwang, den Schnabel öffnen musste um mir Korn für Korn in den Kropf einzuwerfen. Nach ca. drei Tagen war diese Phase überstanden und ich fing an mich wieder für das Leben zu interessieren. Alleine fressen konnte ich trotzdem noch nicht, aber ich sperrte wenigstens schon selbst den Schnabel auf, wenn die Finger meiner Lebensretterin mit Körnern dazwischen meinen Schnabel berührten. Nur die Sonde infundieren gefiel mir nicht so arg, aber das musste sein, damit keine Flüssigkeit in die Luftröhre gerät und es eventuell dann zu einer tödlichen Lungenentzündung kommt. Doch ich habe mich auch sehr angestrengt um  meiner Päpplerin zu zeigen, dass ich sie in ihren Bemühungen um mich unterstütze: Jeden Tag überraschte ich sie mit irgendwelchen  Fortschritten. Und als ich nach 14 Tagen in der Tierarztpraxis nochmals eine Vitamin B-Spritze erhielt, wurde meine Päpplerin sehr von der Tierärztin gelobt, dass alles, was sie mit mir gemacht habe, richtig gewesen sei und sie soll so noch einige Wochen weitermachen. Inzwischen war sie mir auch so vertraut, dass ich sie ganz und gar als meine Ersatzmama ansehe, mit ihrer Nase, ihrem Mund und ihren Fingern schnäbele, ihr Gesicht und ihre Stimme kenne und mich auch ganz vertrauensvoll an ihren Oberkörper anschmiege.Sie hat auch keine Angst sich an mir anzustecken, kann dieses Virus ja nicht auf den Menschen übertragen werden (es ist Tauben-spezifisch) Und selbstverständlich wäscht sie sich danach immer sehr gründlich die Hände und desinfiziert diese. Aber am schönsten für mich ist, wenn sie mir abends dann das Schlafliedchen singt: "Die Blümelein, sie schlafen ... Philipplein, schlaf nun ein, gurruguh, geh jetzt zur Ruh´" Dann höre ich ihr immer ganz aufmerksam zu und sehe sie lange mit meinen Knopfaugen an. Jetzt lebe ich wieder gerne, fresse auf dem Schoß der Ersatzmama bereits allein aus einem Gefäss und trinke die Vitamin B-Komplex-Lösung auch selbstständig aus einem kleinen Glas. Und seit zwei Tagen macht meine "Mama" mit mir auf ihren Händen Flugübungen und ich darf auf dem Bodenteppich zeigen, wie gut ich inzwischen meinen Körper beherrsche. Nur die Beinchen, vor allem das rechte, wollen noch nicht so richtig gehorchen. Da macht sie mit mir Physiotherapie und vorsichtig Massagen. Und heute Nachmittag, am 31.12.2021, durfte ich im Waschbecken ein Bad nehmen um den Staub vom alten Jahr aus meinem Federkleid zu entfernen. Aber es geht eher darum, dass die Federlinge, juckende Parasiten, ein großer Teil durch das Bad schon mal verschwunden sind. Danach hat sie mir pulverisiertes Kieselgur aufgetragen gegen diese Fieslinge. Wenn es abends (oder auch morgens) mit der Fütterung mal später wird, fordere ich das durch ein energisches "Motzen" wie ein Brummen ein. Aber auch wenn meine Ersatzmama sich mir nähert, gebe ich die gleichen Töne von mir, dann wohl eher aus Freude.
Es wird sicher noch eine Weile dauern bis ich wieder soweit "gesund" bin, aber ich werde sicher nie wieder richtig laufen oder gar fliegen können. Vielleicht darf ich ja bei meiner Ersatzmama bleiben, da ich, wie sie sagt, so zahm wäre wie sie noch nie eine Taube bei sich erlebt habe. Aber ich bin halt auch eine noch sehr junge Taube. Oder ich werde mein Leben mit anderen ebenfalls gehandicapten Tauben in der Behindertenvoliere vom Taubenhaus Künzelsau verbringen, gut umsorgt von lieben, Tauben-freundlichen Menschen.
       
     

Autor:

Gudrun Schickert aus Künzelsau

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