Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 23: Auf Entdeckung oder: Heldenmut und Knieschlottern

Alle Lausbubengeschichten Das Kloster, das jetzt unsere Schule war, muss schon sehr alt gewesen sein. Bestimmt hätte man irgendwo eine Jahreszahl entdecken können, aber darum kümmerten wir uns damals noch nicht. Was für uns mehr zählte war das Gerücht, dass von dem ehemaligen Kloster aus ein unterirdischer Gang bis zum anderen Seeufer führt. Dort befanden sich ein alter Friedhof und eine kleine Kapelle.
Diese Mär spukte so lange in unseren Köpfen, bis wir beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Wir fanden eine kleine Luke, mit zwei starken Eisenstäben gesichert, die aber so weit voneinander waren, dass sich ein Schmalhans von unserer Sorte hindurchzwängen konnte. Ein starkes Wäscheseil zu besorgen war für uns wahrlich kein Problem. Nun war die Frage, wer steigt als erster ein. Da ich der schmalste und leichteste war, ruhten alle Augen auf mir und ohne viel Worte, wurde mir auch schon das Seil um den Leib geschlungen. Trotz mulmigem Gefühl im Bauch wäre ein Widerstand unmöglich gewesen, denn „ein deutscher Junge hat keine Angst und steht überall getreu seinen Mann“. Das war der Slogan, der uns Pimpfe täglich gelehrt wurde.
Ich zwängte mich also durch die Gitterstäbe und kroch durch die Luke, die immer enger wurde. Da die Mauer gut einen Meter dick war, kam es mir unendlich lange vor, bis ich den Übergang von der waagrechten Luke in die Senkrechte erreicht hatte. Der schlimmste Teil war, wo ich mit meinem ganzen Körpergewicht nur noch am Seil hing. Dies schnürte mir den Körper derart zusammen, dass ich fast keine Luft mehr hatte. Auf mein klägliches Kommando wurde ich abgesenkt, was auch wieder eine Ewigkeit dauerte, weil die Höhe gute fünf Meter betrug, was wir vorher durch Hinunterwerfen von Steinchen getestet hatten. Als ich wieder Boden unter den Füßen hatte, war die erste Etappe erreicht.
Eine unsagbare Angst befiel mich, und als ich das Seil löste, und dieses nach oben verschwand, wurde mir bang und bänger, denn jetzt war jede Verbindung mit der Außenwelt abgebrochen. Mit zitternden Fingern griff ich nach der Taschenlampe, die ich vorsorglich eingesteckt hatte. Eine ganze Anzahl von Säulen war zu sehen, welche die Deckenwölbungen stützten und auf mich wie Gespenster wirkten. Eine wahre Erlösung war es, als mein Freund Gerhard im Lichtkegel erschien und, genau wie ich, das Knieschlottern hatte.
So nach und nach kamen noch einige Jungs dazu, die Angst wich langsam aus den Gliedern, und wir konnten mit dem Erkunden beginnen. Die Säulen, die mir so unheimlich erschienen waren, hatten Nischen, in denen Heiligenfiguren standen. Schmale hohe Gänge verzweigten sich in verschiedene Richtungen.
Ein Gang, der in Richtung See ging, hatte Treppenstufen, so kam man immer tiefer hinunter. Nach etwa zwanzig Metern standen wir vor einer Halde von Erdreich und Steinen.
Wir waren der festen Überzeugung, dass wir nun gefunden hatten, was wir suchten, nämlich den unterirdischen Gang. Erst beim Zurückgehen haben wir einen Blick auf die Decke geworfen und festgestellt, dass einige Steinquader sehr bedenklich hingen, und wir viel Glück hatten, dass nichts passiert war. Im Gang waren rechts und links je eine hohe Tür, die wir nach einigen Versuchen öffnen konnten. Als wir nun im Schein der Taschenlampe einige Gebilde wie Särge erblickten, war es aus mit dem Heldentum.
Wortlos, in verhaltener Panik, schlossen wir die Türen wieder, und wie begossene Pudel gingen wir auf unsere Luke zu und ließen uns wieder hochhieven.
Den Obengebliebenen wurde alles genauestens geschildert, aber von der Gruft wollte niemand so richtig berichten, und von den Ängsten, die wir ausgestanden hatten, hat auch kein Mensch etwas erfahren.

Autor:

Angelika Di Girolamo aus Künzelsau

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