Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 7 : Bei Oma und Opa
Als Lehrerkinder hatten wir den Vorzug, in den Ferien verreisen zu können, was den Bauernkindern versagt blieb, denn es war Erntezeit, und da mussten alle kräftig mit zupacken, so wurden auch die Kinder nicht verschont.
Unsere Reise ging jedes Jahr zunächst nach Beresina zu den Großeltern, den Eltern unserer Mutter. Für mich war das die große weite Welt, denn der Ort war wesentlich größer als meine Heimatgemeinde Eigenheim mit nur etwa 600 Einwohnern. In Beresina gab es den Eisenbahnanschluss mit Bahnhof und Wartesaal, dadurch entstand ein reges Geschäftsleben.
Es gab ein Cafe, wo man ab und zu eine Maroschena (Eis) essen konnte, wenn Opa seinen guten Tag hatte. Es gab auch eine Metzgerei, wo man eine echte dicke Schinkenwurst kaufen konnte, die ich so gerne mit süßen Baigeln (Brezeln) gegessen habe. Alles Dinge, von denen man daheim nur träumen konnte.
Dass man von Oma und Opa verwöhnt wurde, weil man nur ein- oder zweimal im Jahr zu Besuch kam, verstand sich von selbst. Da war auch noch Tante Else, Mutters Schwester, die mich schon seit dem Tag meiner Geburt kannte. Auch sie zeigte mir ihre Zuneigung, wo immer sie konnte.
Was viel mehr bei mir zählte, war die Umgebung. Da gab es z. B. schon elektrisches Licht und eine richtige Straßenbeleuchtung.
Die einzige Elektrizität bei uns zu Hause in Eigenheim erzeugte mein Vater mit dem Schwungrad einer alten Futterschneidemaschine und der Muskelkraft eines arbeitswilligen Mannes, um damit sein selbst gebautes Radio zu betreiben. Es war wieder einmal alles genau berechnet, und es funktionierte! „Radiohören“ beim Schullehrer war die Hauptattraktion im Dorf. Scharenweise zog sie die Leute an. In Beresina dagegen konnten wohlhabende Leute schon ein richtiges Rundfunkgerät ihr eigen nennen.
Der Nachbar unserer Großeltern hatte eine riesige Holzhandlung mit einem richtigen Motorenhäuschen, in dem ein Dieselaggregat die Säge- und Hobelmaschinen antrieb. Dazu gehörte ein großer Kühlwasserbehälter, den wir Kinder als Planschbecken benutzen konnten.
Die Kinder des Holzhändlers, im gleichen Alter wie meine Schwester und ich, waren unsere Spielgefährten in den Sommerferien. In dem großen Hofgelände gab es viele Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Die vielen Bretter und Hölzer, fein aufgeschichtet oder an die Wand gelehnt, dienten als Haus oder Hof oder Stall, je nach dem, was man eben was man eben spielte.
Der schönste Platz war ein stillgelegter Schweinestall mit Boxen und Fächern, die für allerlei Spielideen von Nutzen waren. Die großen Mädchen plünderten den Kleiderschrank der Frau des Hauses, dann wurde in langen Gewändern, Stöckelschuhen und großen Hüten Modeschau gemacht oder Theater gespielt. Wir Kleinen waren die Zuschauer und mussten bei jedem Auftritt kräftig applaudieren.
In Beresina gab es auch eine große Getreidemühle, in der auch gleich der elektrische Strom erzeugt wurde. Opa war dort angestellt und mit dem Besitzer und dem technischen Leiter gut befreundet. Dieser Techniker hatte einen Sohn, der in meinem Alter war, und somit hatte ich einen Spielkameraden und Zugang zu allen Anlagen in und um die Mühle.
Da gab es Abwechslung in Hülle und Fülle. Beeindruckend für mich war das riesige Dieselaggregat mit einem Schwungrad von mindestens 4 Metern Durchmesser. So etwas hatte ich noch nie gesehen, war hingerissen und hatte Respekt vor dem großen Krach, den die Maschine erzeugte.
Ein lustiges Spielgerät war eine Rutsche, auf der volle Säcke von den oberen Stockwerken nach unten befördert wurden, die wir zu einer Rutschpartie nutzten und anschließend einen ganz weißen Rücken hatten. In einer Garage des Mühlenhofes stand ein großes, offenes Automobil - ein riesiger „Horch“ - , in dem wir viel Zeit zubrachten und mit viel „brumm - brumm - brumm“ Auto fahren spielten. Autos waren damals eine Seltenheit, so dass man schon vom Benzingeruch fasziniert war.
Hatten wir in der Mühle alles durch, dann ging’s zum nahe gelegenen Bahnhof. Da war natürlich immer etwas los. Man konnte zusehen, wie eine Lokomotive rangierte und einzelne Wagen zu einem ganzen Zug zusammen schob. Besonders fesselte mich, wenn die große Lok an der Wasserzapfsäule unter dem großen Ausleger Wasser fasste, um ihren dicken Bauch wieder aufzufüllen.
Leere Waggons wurden beladen, und volle entladen, und das immer mit Pferdefuhrwerken. Aus einem Waggon wurden Zementsäcke entladen, diese haben die Männer auf einem Sackkarren bis zur Tür gerollt und dort in die Fuhrwerke gepackt. Wir Kinder, mein Freund und ich, durften die Säcke vom Stapel ziehen und dann so hinstellen, dass man sie mit dem Sackkarren leicht aufnehmen konnte. Die Arbeit hat Spaß gemacht und als es am Abend als Lohn fünf Lei gab, waren wir überglücklich, denn das war das erste selbst verdiente Geld. Wenn Opa Feierabend hatte, habe ich ihn von der Mühle abgeholt, was mir sehr gelegen kam, denn ich habe schnell begriffen, dass Opa sehr spendabel wurde, wenn man ihm nur recht um den Bart ging. Er konnte mir da selten etwas abschlagen.
Einmal sorgte ich wieder für Aufregung in der Familie nachdem ich einen neuen Gassenhauer aufgeschnappt hatte. Ich wollte mal wieder glänzen, und aus voller Kehle sang ich: „Onsre alte Schwiegermutter isch a alte Schachtel, Ohra spitzig wia an Haas ond senga wia a Wachtel.“
Für Vater war die Darbietung sehr peinlich, denn er wollte doch vor der Schwiegermutter immer schön dastehen. Sie könnte glauben, er hätte mir dieses Liedchen beigebracht, daher war seine einzige Reaktion, mir ein paar kräftige Ohrfeigen zu verpassen. Der Schuss ging nach hinten los, denn Oma fand den Gesang köstlich und hat mich verteidigt wie die Glucke ihr Küken.
Tante Else hatte Logierherren, wovon einer, Herr Näth, in der Nähe in einem Büro arbeitete und von Tante auch verköstigt wurde. An einem Mittag, das Essen wurde angerichtet, sollte ich Herrn Näth zu Tisch bitten. Vorher wurde ich noch belehrt, ich solle anklopfen, dann schön „guten Tag“ und „die Tante bittet zu Tisch“ sagen.
Ich konnte als Kind nie normal gehen, immer rannte ich wie ein Wirbelwind durch die Gegend, und kam was in die Quere, eine Bank, ein niedriger Zaun oder sonst ein Hindernis, das man umgehen konnte, so sprang ich einfach drüber und fort war ich. So auch hier.
Ich rannte über die Straße, in das Haus, stürzte mit einem Karacho in das Büro und sagte: „Näth essa komme – aber hopp, hopp“ und weg war ich.
Der gute Näth bog sich vor lachen und da es hopp, hopp gehen musste, lachte er noch schallend, als er in das Esszimmer kam. Er musste natürlich berichten, was ihn so heiter stimmte. Er hat die Szene so ulkig geschildert, dass alle mitlachen mussten, und ich mit einer Rüge von Tante Else noch glimpflich davon kam.
Die Zeit verging wie im Flug, und es kam der Tag der Abreise, denn jetzt ging’s ans Schwarze Meer. Der Zug fuhr an, und alle waren am Winken, aber das herzlichste Winken kam von den Arbeitern, mit denen ich Zementsäcke ausgeladen und die ich ins Herz geschlossen hatte.
Autor:Angelika Di Girolamo aus Künzelsau |
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