Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 17: Renate oder Eine hochfliegende Erfindung
Die Freude war verhalten, aber eine Rücksendung war nicht möglich. So kam Renate dann als gesundes, kräftiges Mädchen zur Welt, wuchs ebenso gesund und kräftig weiter und hatte diese Gabe der Natur auch bitter nötig. Ihr Bruder, mein Freund Gerhard, der damals etwa zehn Jahre alt war, musste sich viel um Renate kümmern, denn die Mutter, als Bäuerin auf einem großen Hof, hatte selten Zeit für das Baby. Für uns Buben war die Kleine ein Klotz am Bein, denn was wir auch vorhatten, Renate musste mit eingeplant werden. Radfahren war für uns damals eine Lieblingsbeschäftigung. Die Straßen waren, anders als in Bessarabien, mit Steinen befestigt, mit so genanntem Katzenkopfpflaster. Darauf konnten sich bei jedem Wetter alle Fuhrwerke, auch Kutschen, gut fortbewegen, aber keineswegs waren sie zum Radfahren geeignet. Die Vorläufer unserer heutigen Geh- und Radwege waren schmale ungepflasterte, kaum ein Meter breite Seitenstreifen, gesäumt von Alleebäumen oder Straßengräben. Wie oft haben wir uns beim Vorbeifahren an den rauen Stämmen der Kastanienbäume die Fingerknöchel aufgerissen! Um ein richtiges Motorengeräusch zu imitieren, befestigten wir an der Radgabel einen Pappdeckelstreifen und fuhren mit lautem Geknatter die Wege entlang. Dies ging nur dann, wenn Renate nicht dabei war, aber meistens war sie eben da. Wie in vielen schwierigen Situationen, kamen wir auch in diesem Fall auf die richtige Idee. Der Kinderwagen wurde mit einer langen Latte an einem Fahrrad befestigt. Die starre Befestigung war nötig, um den Kinderwagen in der Spur zu halten. Um den Kraftaufwand gleichmäßig zu verteilen, koppelten wir drei Fahrräder mit Seilen hintereinander, und die Fahrt konnte beginnen.
Wie von uns geplant, klappte alles vorzüglich. Der Kinderwagen war keine sehr große Belastung und hielt sich auch sehr gut in der Spur. Stolz auf unsere Erfindung radelten wir hurtig drauflos und merkten nicht, wie das Tempo zunahm. Die leichte Federung am Kinderwagen machte diese Prozedur nicht lange mit. Es gab einen heftigen Rumpler und das Gefährt samt Renate flog in hohem Bogen in den Straßengraben. Zu allem Unglück oder auch Glück hatte es tags zuvor stark geregnet und der Graben war noch voll Dreckwasser.
Jetzt war guter Rat teuer, aber unser treuester Verbündeter, der See, war ganz in der Nähe. Wir packten also Renate, den Kinderwagen und die total verschmutzte Wäsche und begaben uns dorthin. Alles wurde fein säuberlich gewaschen und Renate in die strahlend weißen, klitschnassen Klamotten gepackt.
Als wir Renate nach einiger Zeit mit totalen Unschuldsmienen bei der Mutter ablieferten, war sie sehr erstaunt, wie stark das Kind durchnässt war, wo sie doch vorher gar nicht so viel getrunken hatte.
Autor:Angelika Di Girolamo aus Künzelsau |
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