Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 2: Besuch bei Tante Marie
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Wie versprochen, folgt nun der zweite ausgewählte Streich unseres erfinderischen 'Brunchens', vorweg ein paar Gedanken aus dem Vorwort seines Buches.
Wenn man älter wird und viel Zeit hat, ... beginnen die Gedanken zu kreisen. Da diese Gedanken sehr schnell sind, man sagt, sogar schneller als das Licht, ... kann man in kurzer Zeit viele Stellen des Lebens und der Vergangenheit berühren. Man kann sich noch so anstrengen, die Gegenwart oder sogar die Zukunft zu durchstreifen, schwupp, holt einen die Vergangenheit wieder ein. Eine Zeit, die nur unsere Generation in dieser Turbulenz und in diesem Tempo erlebt hat.
Man kann sagen, dass die Lebenserfahrung unserer Jahrgänge, der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, vom Mittelalter bis zum Atomzeitalter, vom Hantieren mit der Sichel und dem Holzpflug, bis hin zum klimatisierten Mähdrescher und der Rakete zum Mond reicht.
Bei all diesen Gedanken erscheinen mir immer wieder die Bilder meiner Kindheit. Und die Erinnerungen an meine Eltern, hauptsächlich an meinen Vater, werden wieder wach. Als Vater war er wie tausend andere Väter auch: streng, korrekt, manchmal auch großzügig. Er war ein guter Christ, aber er war eben ein Schullehrer alter Prägung und dazu noch ein Küsterlehrer.
Doch in einem Stück war er seiner Zeit weit voraus. Damals schon, und wo immer er auch in späterer Zeit als Lehrer war, hat er für seine Schüler einen Werk- und Bastelraum eingerichtet. So wurden sie die am besten vorbereiteten Lehrlinge in allerlei Handwerkerberufen.
Besuch bei Tante Marie
Tante Marie war die Frau eines wohlhabenden Bauern, der sich damals, 1930, schon ein Auto leisten konnte, wenn auch die Straßen fast nicht befahrbar waren. Also, Tante Marie war meine Taufpatin. Nun gibt es bekanntlich zwei Arten von Paten. Die einen, die das Kind beschenken und die anderen, die für das Kind beten. Tante Marie gehörte zu denen, die schenkten, deshalb war sie bei mir besonders hoch im Kurs.
An einem schönen Sommersonntag eröffnete mir Mutter, dass wir einen Geburtstagsbesuch bei Tante Marie machen wollten. Gleichzeitig kamen die üblichen Belehrungen, wie brav und lieb ich sein sollte, und wann ich „bitte“ und „danke“ zu sagen hätte. Da Mutter eine sehr gute Schneiderin war, hat sie alles selbst genäht und mich immer fein herausgeputzt. An diesem Tag, ich erinnere mich genau, hatte ich blaue Samthosen an, ein weißes Hemdchen mit blauem Schlips, schwarze Lackschuhe und weiße Söckchen, auf dem Kopf trug ich eine elegante Reitermütze, die mir Opa geschenkt hatte.
So geschniegelt und gebügelt sollte ich vor der Haustür noch ein wenig spielen, während sich die Eltern fertig machten. In weiser Voraussicht empfahl mir meine Mutter, mit dem kleinen Tamburin, das auch ein Geschenk von Opa war, zu trommeln. Höchstwahrscheinlich erhoffte sie sich eine akustische Kontrolle, denn so lange ich trommelte, konnte ich sonst nichts Dummes anstellen.
Ich marschierte also mit meinem Tamburin den Hof auf und ab, sang in den höchsten Tönen und trommelte dazu. Nun sagt ein Sprichwort: „Der Teufel steckt im Detail“, dies musste auch ich erfahren.
Am Tag zuvor hatten Handwerker die Herdplatte des Küchenherdes in der Sommerküche ausgewechselt. Die alte Herdplatte lehnte an der Hauswand, bereit zum Abtransport. Ich sah die Herdringe an der Platte und fing sofort an zu denken, und wenn ich dachte, war das immer eine gewagte Sache.
Ich dachte, ein Militärmusiker ohne Orden und Ehrenzeichen kommt einem nackten Menschen gleich, und so wählte ich den Ring, der mir gerade über das Haupt passte, und hatte den nun über meinem weißen Hemd hängen. So befriedigt über diese Ordensverleihung trommelte und marschierte ich weiter.
Mutter sah mich als Erste. Sie stieß einen Schrei aus, so, als ob ihr letztes Stündlein geschlagen hätte. Meinem Vater blieb diese meine Aufmachung auch nicht verborgen, er stürzte auf mich zu, wie üblich erfolgte die Tracht Prügel, so dass bei mir wieder mal das große Heulen begann. Es flossen Tränen, und die Nase begann auch zu tropfen. Diese Flüssigkeit ergoss sich auf den Kochherdring, und es entstand bald ein Gemisch aus Tränen, Schleim und Ruß. In Panikstimmung versuchten die Eltern, mir diesen verflixten Ring vom Kopf zu ziehen, was aber bei dieser Hektik nicht gelang.
Das einzige, was sie fertig brachten, war, dass sich die schwarze Brühe auf alle gleichmäßig verteilte, und es so aussah, als hätten drei Schornsteinfeger gerade einen Ringkampf ausgetragen.
Langsam hat sich der Sturm gelegt, mit etwas mehr Ruhe ging auch der Ring über den Kopf, und aus meiner Sicht war die Sach' behoben, aber nicht für Mutter. Sie zog mir die rußverschmierten Sachen aus, hat mich von Kopf bis Fuß gewaschen und ins Bett gesteckt.
Für sie war das Endprodukt ein ganzer Berg Wäsche, was in der damaligen Zeit eine Menge Arbeit bedeutete. So fiel der Geburtstag von Tante Marie nicht ins Wasser, sondern in den Ruß.
Autor:Angelika Di Girolamo aus Künzelsau |
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