Lausbubengeschichten von Bruno Gässler 8: Der Pelikan
Eine ganz besondere Kindheitserinnerung von Bruno Gässler ist diese hier, denn in den lang vergangenen Sommerferien am Schwarzen Meer hatte er, damals noch ein kleiner Knirps, tatsächlich GAR NICHTS angestellt - und landete doch im Schnabel eines riesigen Pelikans!!
In den Sommerferien fuhren wir ab und zu nach Budaki oder Burnas ans Schwarze Meer. In diesen beiden Orten spürte man damals schon etwas vom Fremdenverkehr. Man konnte da in Gästehäusern oder auch privat ein Zimmer mieten. Ja, es gab sogar schon ein deutsches Jugendheim, wo Kinder in den Ferien unter Aufsicht einige Tage verbringen konnten.
An den Wochenenden aber fuhr man zum Baden nach Kossa, einem Fischerdorf, das nur sechs Kilometer von unserem Ort entfernt am Liman lag, einem Mündungssee des Dnjestr in das Schwarze Meer, etwa so groß wie der Bodensee. Im See verlief die Grenze zwischen Russland und Rumänien. So war in Kossa, unweit von unserer Herberge, eine Zollstation.
Die Zöllner hatten ein ulkiges Maskottchen, nämlich einen riesigen Pelikan. Dieser Vogel war sowohl bei den Dorfbewohnern als auch bei den Gästen wohl bekannt und beliebt. Wo es irgendwie ging, trieb er mit den Unwissenden seine Possen.
Wenn ein Badegast ziemlich weit vom Ufer entfernt war, so dass ihm das Wasser bis zum Hals ging, schwamm der Pelikan unbemerkt hinterher und zupfte den Schwimmer am Haar, ertönte dann vor lauter Schreck ein Schrei, dann suchte er schnell das Weite und klapperte vor Schadenfreude mit dem Schnabel, was bei den Zuschauern am Strand große Heiterkeit auslöste. Kamen die Fischer mit ihren Booten an Land, erwartete sie schon der Pelikan. Wie ein Blitz schoss er auf das Boot zu und schnappte ihnen immer die schönsten und größten Fische weg. Sie konnten sich wehren wie sie wollten, der Pelikan blieb immer Sieger.
Eines Tages bekamen wir Besuch. Zwei Brüder meines Vaters, Onkel Albert und Onkel Willi, waren überraschend aufgetaucht. Man unternahm eine Strandwanderung in eine entlegene Bucht und wollte dort ein wenig feiern. Mutter hatte darin Übung und dafür gesorgt, dass der Esskorb reichlich gefüllt war, und die Männer waren darum bemüht, dass genügend Wein und Zuika mitgenommen wurde. Die Gesellschaft wanderte teils im seichten Wasser, teils im Sand und hatte sich vieles zu erzählen. Ich, noch ein kleiner Knirps, trippelte eifrig hinterher, suchte Steinchen und Muscheln und blieb so ein ganzes Stück hinter der Familie zurück. Der Pelikan, wohl ahnend, dass hier ein Picknick bevorstand, und man da etwas Essbares erhaschen konnte, trottete treu und brav hinterher.
Sehr wahrscheinlich angeregt durch das Zappeln meines Lockenkopfes, schlich er von hinten heran, und schon hatte er mich vom Kopf bis zur Brust im Schnabel. Ich schrie aus Leibeskräften, Vater und seine beiden Brüder rannten herbei und befreiten mich. Der Pelikan flog schnell außer Reichweite, plusterte das Gefieder und klapperte mit dem Schnabel als wollte er sagen: „Ich habe wieder eine wunderbare Heldentat vollbracht“. Nach ein paar Minuten war alles vergessen, der Pelikan begleitete uns weiterhin, und als dann gegessen wurde, hat auch er seinen Teil abbekommen.
Eines Nachts wurden meine Eltern durch laute Schreie und Hilferufe geweckt. Sie rannten ins Freie und sahen, dass die Zollstation in hellen Flammen stand. Das Feuer war im Untergeschoss, in der Küche, ausgebrochen und hatte sich sehr schnell ausgebreitet, so dass den Grenzern, die in den oberen Stockwerken schliefen, der Fluchtweg abgeschnitten war. In Panik sprangen sie aus den Fenstern, oftmals direkt in die Glut, und erlitten schlimme Verletzungen und Brandwunden. Die ärztliche Versorgung war damals mehr als mangelhaft. Die Verletzten lagen auf Stroh in einem Schuppen, der unseren Wirtsleuten gehörte, und hatten große Schmerzen, was man ihrem Jammern und Stöhnen entnehmen konnte. Dass keine Toten zu beklagen waren, hatte man dem Pelikan zu verdanken. Dieser hatte neben der Küche unter einem Vordach sein Nachtlager. Durch das Feuer in der Küche aufgeschreckt, machte er einen Mordslärm und konnte damit die Männer aufwecken und somit Schlimmeres verhindern.
Als ich vor einem Jahr (2002) meine alte Heimat besuchte, wollte ich auch diese Stätte noch einmal sehen. Ich fand von der Grenzstation nur noch die Fundamente und ein paar herumliegende Mauerreste. Das Haus, in dem wir wohnten, musste einer Straße weichen. Ich stand oben auf der Steilküste und war in Gedanken versunken und ertappte mich dabei, dass ich Ausschau hielt - - nach dem Pelikan!
Autor:Angelika Di Girolamo aus Künzelsau |
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